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II. Das Werk
Colvl627 folgt auf diese Angabe die Erläuterung id est vlieger. Dabei scheint es sich
um eine flämische Form zu handeln; Colvenier erklärt diese Bekleidung in seinem
Kommentar als belgisches Gewand, für das die Bezeichnungen vlieger oder vlieghen
geläufig seien und das noch zu seiner Zeit verwendet würde.232
Eine anderere Form des Rückgriffs auf das Französische sind außerdem Sprich-
worte, die Thomas von Cantimpre an mehreren Stellen seines „Bienenbuchs“ ein-
setzte.233 In zwei Passagen nimmt er dezidiert auf den Ursprung der zitierten Sprich-
worte Bezug. So verwendet er in BUA 11,11,2 zwar eine lateinische Übertragung
eines französischen Sprichworts, formuliert jedoch erhebliche Zweifel daran, ob die
Übersetzung den Sinn des Sprichworts auch adäquat zu erfassen vermöge.234 Auch in
BUA 11,40,9 deutet Thomas diese Bedenken an, entzieht sich der Problematik jedoch
letztlich, indem er ein französisches Sprichwort sowohl in französischer als auch in
lateinischer Fassung notiert.235
Besonders deutlich kommt die Funktion des Volkssprachlichen schließlich in ei-
nem Exempel zum Ausdruck, das Thomas von Cantimpre im letzten Kapitel seines
„Bienenbuchs“ festhält. Im Mittelpunkt der Erzählung steht ein junges Mädchen aus
Brabant, das durch dämonische Einflüsse zur Liebe gegenüber einem Mann verführt
wird. Obgleich sie aufrichtig versucht, ihre Leidenschaft zu unterdrücken, gewinnen
die Dämonen die Überhand, lassen das Mädchen erkranken und eines Morgens mit
dem Vorhaben erwachen, heimlich zu dem jungen Mann zu gehen. Sie sieht vor sich
jedoch einen frisch gekreuzigten Christus, der „ein ruhiges Gebet in ihrer Mutterspra-
che“ sagt. Das Gebet gibt Thomas von Cantimpre auf Französisch sowie auch auf
Latein folgendermaßen wieder: ,„Moy dois ameir, je suis tres biaus/ li dous, li dous, et
li trehaus‘. Dies erklären wir mit folgenden lateinisch gefärbten Worten: ,Du sollst
mich wertschätzen, der ich wohlgestaltet, gut, freundlich und edel bin/“236 Die Wir-
kung dieser Worte zeigt sich sofort: das Mädchen wird von „vollkommenem Frieden“
erfüllt und von den dämonischen Verführungen befreit. Dabei vermittelt diese
Geschichte gleich mehrere Botschaften. Die Verbindung mit Gott erfolgt individuell,
232 Thom. Cantimpr. BUA 1,7,2 (Spreverat in sacerdotibus rotundam communis habitus cappam et
tabardum, quem Gallici canem dicunt, induerat). S. außerdem Colvl627, S. 26 sowie ebd., Kom-
mentar, S. 10-11: Vlieger Belgis est vestis exterior.
233 Grundlegend zur Verwendung von Sprichworten in Exempelsammlungen: Polo de Beaulieu/Ber-
lioz, Les proverbes, bes. S. 31-33. Zu Sprichworten im „Bienenbuch“ s. van der Vet, Het Bienboc,
S. 61-62.
234 Thom. Cantimpr. BUA 11,11,2: Galliceproverbium dicitur, et nescio, si verba latina sufficiant: Ubi
bona custodia et bona pax.
235 Thom. Cantimpr. BUA 11,40,9: Gallici vulgariproverbio utuntur et dicunt: ,Bons vins grasse lärme
al oel maine'. QuodLatine et si non eque, sic dicitur: Bonum vinumpinguem lacrimam ad oculum
ducit.
236 Thom. Cantimpr. BUA 11,57,25: Nec mora, ubi surgens oculos aperuit, vidit Christum quasiplagis
recentibus crucifixum leni sermone dicentem sibi linguapatria: „Moy dois ameir, je sui tres biaus,
li dous, li dous, et li trehaus”. Quod nos latine coloratis verbis exponimus: „Me diligas, qui sum
formosus, bonus, dulcis et generosus”. S. dazu auch van der Vet, Het Bienboc, S. 62.
II. Das Werk
Colvl627 folgt auf diese Angabe die Erläuterung id est vlieger. Dabei scheint es sich
um eine flämische Form zu handeln; Colvenier erklärt diese Bekleidung in seinem
Kommentar als belgisches Gewand, für das die Bezeichnungen vlieger oder vlieghen
geläufig seien und das noch zu seiner Zeit verwendet würde.232
Eine anderere Form des Rückgriffs auf das Französische sind außerdem Sprich-
worte, die Thomas von Cantimpre an mehreren Stellen seines „Bienenbuchs“ ein-
setzte.233 In zwei Passagen nimmt er dezidiert auf den Ursprung der zitierten Sprich-
worte Bezug. So verwendet er in BUA 11,11,2 zwar eine lateinische Übertragung
eines französischen Sprichworts, formuliert jedoch erhebliche Zweifel daran, ob die
Übersetzung den Sinn des Sprichworts auch adäquat zu erfassen vermöge.234 Auch in
BUA 11,40,9 deutet Thomas diese Bedenken an, entzieht sich der Problematik jedoch
letztlich, indem er ein französisches Sprichwort sowohl in französischer als auch in
lateinischer Fassung notiert.235
Besonders deutlich kommt die Funktion des Volkssprachlichen schließlich in ei-
nem Exempel zum Ausdruck, das Thomas von Cantimpre im letzten Kapitel seines
„Bienenbuchs“ festhält. Im Mittelpunkt der Erzählung steht ein junges Mädchen aus
Brabant, das durch dämonische Einflüsse zur Liebe gegenüber einem Mann verführt
wird. Obgleich sie aufrichtig versucht, ihre Leidenschaft zu unterdrücken, gewinnen
die Dämonen die Überhand, lassen das Mädchen erkranken und eines Morgens mit
dem Vorhaben erwachen, heimlich zu dem jungen Mann zu gehen. Sie sieht vor sich
jedoch einen frisch gekreuzigten Christus, der „ein ruhiges Gebet in ihrer Mutterspra-
che“ sagt. Das Gebet gibt Thomas von Cantimpre auf Französisch sowie auch auf
Latein folgendermaßen wieder: ,„Moy dois ameir, je suis tres biaus/ li dous, li dous, et
li trehaus‘. Dies erklären wir mit folgenden lateinisch gefärbten Worten: ,Du sollst
mich wertschätzen, der ich wohlgestaltet, gut, freundlich und edel bin/“236 Die Wir-
kung dieser Worte zeigt sich sofort: das Mädchen wird von „vollkommenem Frieden“
erfüllt und von den dämonischen Verführungen befreit. Dabei vermittelt diese
Geschichte gleich mehrere Botschaften. Die Verbindung mit Gott erfolgt individuell,
232 Thom. Cantimpr. BUA 1,7,2 (Spreverat in sacerdotibus rotundam communis habitus cappam et
tabardum, quem Gallici canem dicunt, induerat). S. außerdem Colvl627, S. 26 sowie ebd., Kom-
mentar, S. 10-11: Vlieger Belgis est vestis exterior.
233 Grundlegend zur Verwendung von Sprichworten in Exempelsammlungen: Polo de Beaulieu/Ber-
lioz, Les proverbes, bes. S. 31-33. Zu Sprichworten im „Bienenbuch“ s. van der Vet, Het Bienboc,
S. 61-62.
234 Thom. Cantimpr. BUA 11,11,2: Galliceproverbium dicitur, et nescio, si verba latina sufficiant: Ubi
bona custodia et bona pax.
235 Thom. Cantimpr. BUA 11,40,9: Gallici vulgariproverbio utuntur et dicunt: ,Bons vins grasse lärme
al oel maine'. QuodLatine et si non eque, sic dicitur: Bonum vinumpinguem lacrimam ad oculum
ducit.
236 Thom. Cantimpr. BUA 11,57,25: Nec mora, ubi surgens oculos aperuit, vidit Christum quasiplagis
recentibus crucifixum leni sermone dicentem sibi linguapatria: „Moy dois ameir, je sui tres biaus,
li dous, li dous, et li trehaus”. Quod nos latine coloratis verbis exponimus: „Me diligas, qui sum
formosus, bonus, dulcis et generosus”. S. dazu auch van der Vet, Het Bienboc, S. 62.