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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Editor]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0098
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II.4. Eine Region erzählen: Personen, Orte und Räume im „Bienenbuch'

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je nach dem eigenen sozialen Kontext. Über das Mädchen werden abgesehen von ihrer
Herkunft aus einer adeligen Familie Brabants keine weiteren Angaben gemacht; es
gibt also zunächst keinen Grund, von einer weiteren Sprachkenntnis als der ihrer Mut-
tersprache auszugehen, in der sie schließlich auch von Christus angesprochen wird.
Dem Leser oder Zuhörer wird so verdeutlicht, dass der Zugang zu Gott nicht einem
bestimmten Publikum mit speziellen Kenntnissen vorbehalten ist. Vielmehr erschafft
die Ansprache in der lingua patria eine ganz unmittelbare und zugleich sehr persön-
liche Gesprächssituation und vermag so eine direkte Wirkung zu zeitigen.
Die Geschichten des „Bienenbuchs“ zeichnen sich durch eine bemerkenswerte
Menge und Vielfalt an kommunikativen Situationen aus. Die von Thomas von Can-
timpre beschriebenen Gespräche fungieren zunächst als Informationsgrundlage des
eigentlichen Erzählstoffes. Dabei wird mit dem oral überlieferten Erzählgut ein neuer
Wissensbestand aktiviert und den Rezipienten des „Bienenbuchs“ gemeinsam mit
den bereits schriftlich verbreiteten Erzählungen zugänglich gemacht. Gleichzeitig er-
halten die Geschichten, die in dialogische Situationen eingebettet sind, eine lebens-
nahe, alltägliche und somit nachvollziehbare Dynamik. Erkennbar, wenn auch nicht
vordergründig, wird in den Erzählungen eine Mehrsprachigkeit des mittelalterlichen
Lebensalltags dokumentiert: Latein erscheint hierbei als Sprache der Religiösen und
Gelehrten, die Volkssprache der betreffenden Region (i.d.R. Französisch) dagegen
als alltägliches Kommunikationsmittel unterschiedlicher Schichten und mithin auch
als Ausdrucksmittel für gemeinhin bekannte Sinnsprüche.
IL4.2. Brabant im Fokus: Soziale Gruppen und regionale Lebenswelten
Trotz der im Prolog zum Bonum universale de apibus formulierten Beteuerung, jed-
wede Verärgerung der Zeitgenossen durch das Auslassen von Namen- oder Ortsde-
tails vermeiden zu wollen, lässt sich ein Großteil der Exempel zeitlich, örtlich und im
Hinblick auf die genannten Personen näher verorten. Denn während Thomas von
Cantimpre tatsächlich häufig auf eine Angabe, etwa den Personennamen, verzichtete,
berücksichtigte er eine andere Information, beispielsweise Familienzusammenhän-
ge, sehr wohl.237
Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Gesprächspartner des Thomas von
Cantimpre und die Protagonisten seiner Erzählungen näher, so offenbart sich ein
beachtlich breiter Blick auf die zeitgenössische Gesellschaft und ihre sozialen Abstu-
fungen. Neben Vertretern europäischer Königsfamilien sind Mitglieder regionaler
237 So lässt sich der „bei den Baronen Frankreichs sehr angesehene und mächtige Graf von Chartres
und zugleich Blois, Theobald“ in BUA 11,25,14 nur dank der Hinweise auf seine Enkelin („die be-
rühmte Dame Alheidis, Gräfin von Chartres und Blois“), die als zeitgenössische Erzählerin des be-
treffenden Exempels fungiert, einigermaßen gesichert mit Theobald IV. „dem Großen“ (1090/95-
1152) identifizieren.
 
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