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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Editor]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0102
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II.4. Eine Region erzählen: Personen, Orte und Räume im „Bienenbuch'

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Zeugen aus dem eigenen Orden, sondern auch aus anderen Organisationskontexten
Gehör und notierte mirabilia aus ihren Erfahrungsbereichen. Auf diese Weise eröff-
net sich während der Lektüre ein beeindruckendes Panorama von der religiösen Viel-
falt des 13. Jahrhunderts: Neben Angehörigen der römischen Kirche begegnen dem
Leser Mitglieder „etablierter“ Orden wie der Benediktiner oder Zisterzienser, Ver-
treter der „neuen“ Orden der Franziskaner und Dominikaner sowie auch Juden,251
Muslime,252 „Heiden“253 oder „Ketzer“.254
Die im Widmungsbrief angedeutete pro-dominikanische Programmatik spiegelt
sich durchaus auch in den Erzählungen des „Bienenbuchs“ wider. Den mendikanti-
schen Orden der Franziskaner und Dominikaner wird stets eine herausragende Be-
deutung beigemessen, oft in subtiler Abgrenzung zu den traditionellen Orden der
Benediktiner oder Zisterzienser, aber beinahe nie in expliziter Kritik an ihnen. Bei-
spielhaft sei hierfür auf Thomas’ Anwendung eines klassischen narrativen Kniffs
verweisen: die Inanspruchnahme tradierter Erzählmotive wie etwa der zisterziensi-
schen Vorstellung vom Schutzmantel Marias.255 So wird in BUA 11,10,16 von einem
Zisterzienser berichtet, dem in einer Vision die Mutter Gottes erscheint. Als diese
den Mönch dazu auffordert, für all diejenigen zu beten, die sie als Brüder und Söhne
seiner Liebe anvertraut habe, geht der Zisterzienser zunächst von seinem eigenen
Orden aus. Wie Maria ihm jedoch verbal und durch das Anheben ihres Mantels of-
fenbart, sind es andere Brüder, die bereits ihrem besonderen Schutz unterstehen: die
Dominikaner sitzen unter dem Schutzmantel Marias. Damit übernahm Thomas ein
im 13. Jahrhundert vor allem von den Zisterziensern verwendetes Motiv und wen-
dete es auf seinen eigenen Orden an. Den Dominikanern wird somit eine beinahe
endgültige Erhöhung zuteil - die Unterstellung unter den Schutz der bisherigen
patrona der Zisterzienser, der Mutter Gottes.
251 Behandelt werden vor allem „klassische“ Themen mit antijüdischem Duktus: die Talmud-Verbren-
nung in Paris (Thom. Cantimpr. BUA 1,3,6), ein Exemplum mit dem Vorwurf des Ritualmordes
(ebd., 11,29,22-23) oder Geschichten über die Konversion vom Juden- zum Christentum (ebd.,
11,29,20-21). S. hierzu van der Vet, Het Bienboc, S. 219-230, Platelle, L’image des juifs, Cluse,
Studien zur Geschichte, bes. S. 316-326 (zum Ritualmordvorwurf). Grundlegend zu antijüdischen
Narrativen im Mittelalter s. Heil, Verschwörung sowie Heil, Judenfeindschaft.
252 S. beispielsweise Thom. Cantimpr. BUA 11,10,19: Darin wird einem im Glauben verunsicherten
Dominikaner aus Brügge, der nicht weiß, welche der drei „Sekten“ (Christen, Juden, Muslime) die
Wahrheit bringe, in einer Marienvision der „rechte Weg“ gewiesen. Zu den stereotypen Verarbei-
tungen von Geschichten über Muslime und Juden s. außerdem Lamm, Muslims and Jews.
253 S. beispielsweise Thom. Cantimpr. BUA 11,20,2, wo in einer anrührenden Geschichte die Freund-
schaft zwischen einem Christen und einem Heiden (Muslim?) thematisiert wird. Zu heidnischen
Kulten in Preußen s. außerdem Thom. Cantimpr. BUA 11,57,17.
254 S. etwa Thom. Cantimpr. BUA 11,57,68 und zu den darin beschriebenen Inquisitionsmaßnahmen in
Nordfrankreich Trail, Philip the Chancelor, S. 242-244.
255 Ausführlich hierzu: Burkhardt, Welt der Mendikanten. S. außerdem Gormans, „Unter den Mantel
geschaut“. Zum Bild der Schutzmantelmadonna bei Caesarius von Heisterbach (Caes. Dial. mirac.
7,59) und zur „Adaption“ durch die Dominikaner s. Reisner, „Sub tuum praesidium confugimus“.
 
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