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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0109
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III. Die Rezeptionsgeschichte

ihre Materialität auch in den Mittelpunkt verschiedener Arbeiten über Editions-
konzepte oder die Analyse von Handschriften.2 Besonders grundlegende Studien in
diesem Bereich legten Tjamke Snijders und Kathryn M. Rudy vor.3 Snijders, die in
ihrer Arbeit hagiographische Texte in den südlichen Niederlanden des hohen Mittel-
alters untersucht hat, schlägt ein facettenreiches Modell zum Umgang mit mittel-
alterlichen Handschriften vor. Dieses basiert auf der Annahme, dass zwischen der
Struktur und dem Layout der Handschrift (ordinatio) und seiner kommunikativen
Funktion gegenüber dem Leser und Nutzer (communicare) ein enger Zusammen-
hang besteht. Snijders geht deshalb der Frage nach, wie mittelalterliche Schreiber
durch gezielte Änderungen oder Eingriffe in die ordinatio die kommunikative
Transmitter-Funktion eines Manuskriptes beeinflussen konnten. Neben den einzel-
nen Etappen des Schreibprozesses identifiziert sie Layout und Lesbarkeit als zentra-
le Bestandteile der kommunikativen Wirkmacht einer Handschrift. Während sich
das Layout durch Kapitelüberschriften, Farbeneinsatz, Miniaturen oder die Gestal-
tung von Initialen beschreiben lässt, sind für die Frage der Lesbarkeit Aspekte wie
die Anordnung der Zeilen, die Existenz und Binnenordnung von Registern, die Aus-
gestaltung von Titeln und Rubriken zu berücksichtigten - mithin alles, was die Klar-
heit der Präsentation unterstützt.4
Mit einer konzeptuell ähnlichen Herangehensweise untersuchte Kathryn Rudy,
wie mittelalterliche Leser Handschriften an ihre individuellen Bedürfnisse anpass-
ten. Ausgehend von der Annahme, dass Handschriften im Mittelalter keine „stati-
schen Entitäten“, sondern vielmehr dynamisch genutzte Objekte waren, entwickelt
Rudy einen systematischen Zugriff, um Nutzungsspuren in Handschriften unter-
suchen und erklären zu können. Dabei unterscheidet sie strukturell zwischen Ände-
rungen, die den Codex in seiner ursprünglichen Form beließen, und solchen, die eine
neue Bindung oder Seitenanordnung erforderlich machten.5 Unabhängig von der
Konsequenz der Änderungen zählt Rudy zu den wesentlichen Indizien für den Um-
gang mit Handschriften nicht nur klassisch Schreiber- oder Besitzvermerke, sondern
auch Eingriffe in den Inhalt oder die Anordnung eines Textes, die Einfügung von
Abbildungen oder die Glossierung des Textes. Rudys Studie, die ebenfalls auf Fall-
beispielen aus den mittelalterlichen Niederlanden (allerdings aus dem 15. Jahrhun-
dert) basiert, schließt damit im Grunde an Snijders’ Ansatz an. Beide Autorinnen
2 S. unter den zahlreichen neuen Arbeiten beispielsweise Kwakkel, Decoding the material book,
Lähnemann, The Materiality of Medieval Manuscripts, Vanderputten, Hagiography and the li-
teralization process. Mit Blick auf Exempelsammlungen bzw. das Bonum universale de apibus
s. außerdem Smirnova, L’exemplum medieval, Louis, Essaimage et usages, Louis, Vtexemplum,
Bd. 1, S. 169-183. Für eine luzide forschungsgeschichtliche Einordnung s. Licht, Ludwig Traubes
Überlieferungsphilologie.
3 S. Snijders, Manuscript Communication sowie Rudy, Piety in Pieces.
4 Snijders, Manuscript Communication, S. 39-78.
5 Rudy, Piety in Pieces, S. 59-221.
 
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