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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0154
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III.3. Der Umgang mit Buch und Text

153

griffen auf die narrativen Bestände des Thomas von Cantimpre zurück und fügten
seine Erzählungen in einen neuen Kontext ein.
Nicht immer wurde dabei jedoch kenntlich gemacht, woher der betreffende Text
stammte - so wie ja auch Thomas von Cantimpre manche zeitgenössische Erzähl-
stücke in seinem Werk wiedergab, ohne dass er als ihr eigentlicher „Autor“ oder
„Urheber“ zu gelten hat (s. hierzu Kapitel II.4). Ein Beispiel für solche Überlappun-
gen ist die um 1400 entstandene Exempelsammlung Viaticum narrationum des Hen-
mannus Bononiensis. Dabei handelt es sich um eine Kompilation von insgesamt 80
Exempeln, die in alphabetischer Reihenfolge nach dem Anfangsbuchstaben eines
Schlagworts zusammengefügt wurden, das zu Beginn jedes Exempels dessen
Kernthema angibt (von A wie abstinencia bis V wie virtus Dei}™ Die zusammenge-
tragenen Geschichten sind zumeist direkte Übernahmen oder Paraphrasierungen von
Exempeln, die in bekannten Sammlungen der Zeit wie etwa der Legenda aurea des
Jacob von Voragine, dem Dialogus miraculorum des Caesarius von Heisterbach, dem
Speculum historiale des Vincent von Beauvais oder eben dem Bonum universale de
apibus des Thomas von Cantimpre enthalten sind.
Unter dem Lemma lepra findet sich beispielsweise in Abschnitt Nr. 40 ein Exem-
pel, das gleichfalls in BUA 11,30,29 enthalten ist. Es ist die Geschichte einer schönen
Adeligen, die sich wegen der gesellschaftlichen Erwartungen Hässlichkeit wünscht,
von Gott mit Lepra „bedacht“ wird und letztlich auf den Ratschlag eines Dominika-
ners Gottes Willen und damit ihre Schönheit akzeptiert.176 177 Obgleich die Fassung im
Viaticum narrationum etwas gekürzt ist, ist der Bezug zum Bonum universale de
apibus offensichtlich.178 Im Gegensatz dazu weisen andere Exempel im Viaticum
narrationum zwar eine gewisse Ähnlichkeit mit den Erzählungen des „Bienenbuchs“
auf, sind aber sprachlich oder inhaltlich so abgewandelt, dass nicht von einer direkten
Übernahme ausgegangen werden kann.179
Die Übernahme von Stellen aus dem „Bienenbuch“ im Viaticum narrationum
verdeutlicht einmal mehr, dass die Exempel des Spätmittelalters fluide Texte waren,
176 Knapp, jedoch wenig informativ zum Hintergrund des kaum erforschten Textes s. Schröder, Das
Viaticum Narrationum.
177 Viaticum narrationum, hg. von Hilka, Nr. XL (Lepra), S. 59-61.
178 Dies ist auch bei Viaticum narrationum, hg. von Hilka, Nr. XXIV (Dolor peccatorum), S. 22-24
der Fall, wo über das Zusammenleben der Christin Agnes mit einer Jüdin und dann über die Kon-
version der Jüdin zur Christin Gertrud berichtet wird. Diese Episode stammt aus BUA 11,29,21.
179 S. beispielsweise Viaticum narrationum, hg. von Hilka, Nr. XIV (Corpus Christi), S. 17-18, über
eine Begegnung von Petrus Martyr mit einem Häretiker, der eine dämonische Täuschung vorführt,
ähnlich in BUA 11,57,23. S. auch ebd., Nr. LIX (Oracio), S. 81-83, mit einem ähnlichen Beginn wie
BUA 1,12,2 (Geschichte über einen Grafen der Champagne, der wegen einer Reise die Fürsorge für
einen Armen Bekannten überträgt, die ihrer Aufgabe nicht nachkommen); im Viaticum jedoch geht
es um einen Bischof. S. auch ebd., Nr. LXI (Peregrinacio terre sancte), S. 86-88, in der von der
Pilgerreise eines Mannes berichtet wird; in der kürzeren Fassung BUA 11,40,3 ist der Protagonist
ein Dominikanerbruder.
 
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