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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0371
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352 Götzen-Dämmerung

In Georg Heinrich Schneiders Buch Der thierische Wille hat N. einschlägige
Passagen markiert (Schneider o. J., 79-84). Dort wird eine relative Willensfrei-
heit konzediert, dass der Wille sich nämlich stets von der „relativ ange-
nehmste[n] Vorstellung" leiten lasse: „Ursprünglich ist aber die angenehmste
identisch mit derjenigen der größten Zweckmäßigkeit." (Ebd., 80, Kursiviertes
von N. unterstrichen. Am Rand von N.s Hand: „Im Gegentheil: zuletzt!"). Vgl.
die Schneider-Exzerpte im Nachlass 1883, z. B. NL 1883, KSA 10, 7[239], 316
und JGB 21, KSA 5, 35, 22-36, 12: „Gesetzt, Jemand kommt dergestalt hinter die
bäurische Einfalt dieses berühmten Begriffs ,freier Wille' und streicht ihn aus
seinem Kopfe, so bitte ich ihn nunmehr, seine ,Aufklärung' noch um einen
Schritt weiter zu treiben und auch die Umkehrung jenes Unbegriffs ,freier
Wille' aus seinem Kopfe zu streichen: ich meine den ,unfreien Willen', der
auf einen Missbrauch von Ursache und Wirkung hinausläuft. Man soll nicht
,Ursache' und ,Wirkung' fehlerhaft verdinglichen, wie es die Naturforscher
thun (und wer gleich ihnen heute im Denken naturalisirt —) gemäss der herr-
schenden mechanistischen Tölpelei, welche die Ursache drücken und stossen
lässt, bis sie ,wirkt'; man soll sich der ,Ursache', der ,Wirkung' eben nur als
reiner Begriffe bedienen, das heisst als conventioneller Fiktionen zum
Zweck der Bezeichnung, der Verständigung, nicht der Erklärung. Im ,An-sich'
giebt es nichts von ,Causal-Verbänden', von ,Nothwendigkeit', von ,psychologi-
scher Unfreiheit', da folgt nicht ,die Wirkung auf die Ursache', das regiert
kein ,Gesetz'. Wir sind es, die allein die Ursachen, das Nacheinander, das Für-
einander, die Relativität, den Zwang, die Zahl, das Gesetz, die Freiheit, den
Grund, den Zweck erdichtet haben; und wenn wir diese Zeichen-Welt als ,an
sich' in die Dinge hineindichten, hineinmischen, so treiben wir es noch einmal,
wie wir es immer getrieben haben, nämlich mythologisch." Zu den syste-
matischen Problemen von N.s Überlegungen zur Willensfreiheit vgl. Solomon
2002.
95, 21-27 erfunden zum Zweck der Strafe, das heisst des Schuldig-finden-
wollens. Die ganze alte Psychologie, die Willens-Psychologie hat ihre Voraus-
setzung darin, dass deren Urheber, die Priester an der Spitze alter Gemeinwesen,
sich ein Recht schaffen wollten, Strafen zu verhängen — oder Gott dazu ein
Recht schaffen wollten] In W II 3, 129 lautet der Passus: „eine Theorie vom
Recht auf Rache. ,Gott will strafen': das heißt die herrschende Priesterschaft
alter Gemeinwesen will das Recht haben" (KGW IX 7, W II 3, 129, 32-36, im
Original größtenteils durchgestrichen, vgl. KSA 14, 419).
95, 31 Falschmünzerei] Der Vorwurf der Falschmünzerei taucht in N.s spätem
Werk und Nachlass sehr oft auf in der Auseinandersetzung mit den falschen
Wertungsweisen, namentlich mit dem Christentum, mit Schopenhauer und mit
 
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