Stellenkommentar AC Vorwort, KSA 6, S. 167 25
von dem man auszugehen hat. In AC wird die Geschichte des Christentums
wesentlich als Geschichte eines großen Missverstehens erzählt, nämlich des
Missverstehens Jesu, nicht ohne stattdessen ein besseres Verständnis anzubie-
ten. Zu N.s Hermeneutik des Missverständnisses siehe Stegmaier 1992.
167, 9-11 Man muss rechtschaffen sein in geistigen Dingen bis zur Härte, um
auch nur meinen Ernst, meine Leidenschaft auszuhalten.] Vgl. NK KSA 6, 105,
6-9.
167, 15 f. Eine Vorliebe der Stärke für Fragen, zu denen Niemand heute den Muth
hat; der Muth zum Verbotenen] Das Motiv des nötigen, kaum aufzubringen-
den Muts für seine Fragen und Antworten ist bei N. sehr beliebt, vgl. z. B. GD
Sprüche und Pfeile 2, KSA 6, 59, 6 f. Der „Muth zum Verbotenen" ist die
substantivierte Eindeutschung einer in GM III 9 (KSA 5, 357, 14) und in EH
Vorwort 3 lateinisch zitierten Devise: „Nitimur in vetitum: in diesem Zeichen
siegt einmal meine Philosophie, denn man verbot bisher grundsätzlich immer
nur die Wahrheit. —" (KSA 6, 259, 11-13).
Die Losung stammt aus Ovid und steht im Distichon: „Nitimur in vetitum
semper cupimusque negata / Sic interdictis inminet aeger aquis." (Amores III
4, 17 f. „Wir streben immer nach dem Verbotenen und begehren das, was uns
versagt wird. / So lechzt der Kranke nach dem Wasser, das ihm untersagt ist.")
N. hatte sich bei Galiani 1882, 2, 222 unterstrichen: „On ne connait pas les
hommes: Nitimur in vetitum. Plus une chose est difficile, penible, coüteuse,
plus les hommes l'aiment, s'y attachent, en raffolent." („Man kennt die Men-
schen nicht: Nitimur in vetitum. Je schwieriger, anstrengender, kostspieliger
eine Sache ist, desto stärker lieben die Menschen sie und hängen daran bis
zum Wahnsinn.") Das „nitimur in vetitum" und der „Abenteuerer-Muth" wer-
den in JGB 227, KSA 5, 162, 30 f. mit der „Redlichkeit" als „unsre[r] Tugend"
(KSA 5, 162, 18) direkt in Verbindung gebracht. Wenn N. „in diesem Zeichen"
(EH Vorwort 3, KSA 6, 259, ll f.) siegen will wie einst Kaiser Konstantin im
Zeichen des Kreuzes, ist es gerade das Vorenthaltene — negata —, an dem sich
die Begehrlichkeit entzündet (vgl. GD Sprüche und Pfeile 2, KSA 6, 59, 6 f.).
Dass die „Wahrheit" diese verbotene und begehrte Frucht sei — der Trank,
nach dem der Kranke giert (Amores III 4, 18) —, ist in religionskritischem Kon-
text topisch. Durch den Rückbezug auf Ovid kommt aber die erotische Konno-
tation der verbotenen Wahrheit stark zum Tragen.
167, 16 f. Vorherbestimmung zum Labyrinth] Vgl. NK 169, 7 f. und NK KSA 6, 12,
23-25. Nach „Labyrinth" folgte im Druckmanuskript der schließlich gestrichene
Satz: „Eine Gesundheits-Lehre des Kriegs, mit dem Wahlspruch increscunt
animi virescit volnere virtus." (KSA 14, 437) Die Streichung erfolgte wohl
von dem man auszugehen hat. In AC wird die Geschichte des Christentums
wesentlich als Geschichte eines großen Missverstehens erzählt, nämlich des
Missverstehens Jesu, nicht ohne stattdessen ein besseres Verständnis anzubie-
ten. Zu N.s Hermeneutik des Missverständnisses siehe Stegmaier 1992.
167, 9-11 Man muss rechtschaffen sein in geistigen Dingen bis zur Härte, um
auch nur meinen Ernst, meine Leidenschaft auszuhalten.] Vgl. NK KSA 6, 105,
6-9.
167, 15 f. Eine Vorliebe der Stärke für Fragen, zu denen Niemand heute den Muth
hat; der Muth zum Verbotenen] Das Motiv des nötigen, kaum aufzubringen-
den Muts für seine Fragen und Antworten ist bei N. sehr beliebt, vgl. z. B. GD
Sprüche und Pfeile 2, KSA 6, 59, 6 f. Der „Muth zum Verbotenen" ist die
substantivierte Eindeutschung einer in GM III 9 (KSA 5, 357, 14) und in EH
Vorwort 3 lateinisch zitierten Devise: „Nitimur in vetitum: in diesem Zeichen
siegt einmal meine Philosophie, denn man verbot bisher grundsätzlich immer
nur die Wahrheit. —" (KSA 6, 259, 11-13).
Die Losung stammt aus Ovid und steht im Distichon: „Nitimur in vetitum
semper cupimusque negata / Sic interdictis inminet aeger aquis." (Amores III
4, 17 f. „Wir streben immer nach dem Verbotenen und begehren das, was uns
versagt wird. / So lechzt der Kranke nach dem Wasser, das ihm untersagt ist.")
N. hatte sich bei Galiani 1882, 2, 222 unterstrichen: „On ne connait pas les
hommes: Nitimur in vetitum. Plus une chose est difficile, penible, coüteuse,
plus les hommes l'aiment, s'y attachent, en raffolent." („Man kennt die Men-
schen nicht: Nitimur in vetitum. Je schwieriger, anstrengender, kostspieliger
eine Sache ist, desto stärker lieben die Menschen sie und hängen daran bis
zum Wahnsinn.") Das „nitimur in vetitum" und der „Abenteuerer-Muth" wer-
den in JGB 227, KSA 5, 162, 30 f. mit der „Redlichkeit" als „unsre[r] Tugend"
(KSA 5, 162, 18) direkt in Verbindung gebracht. Wenn N. „in diesem Zeichen"
(EH Vorwort 3, KSA 6, 259, ll f.) siegen will wie einst Kaiser Konstantin im
Zeichen des Kreuzes, ist es gerade das Vorenthaltene — negata —, an dem sich
die Begehrlichkeit entzündet (vgl. GD Sprüche und Pfeile 2, KSA 6, 59, 6 f.).
Dass die „Wahrheit" diese verbotene und begehrte Frucht sei — der Trank,
nach dem der Kranke giert (Amores III 4, 18) —, ist in religionskritischem Kon-
text topisch. Durch den Rückbezug auf Ovid kommt aber die erotische Konno-
tation der verbotenen Wahrheit stark zum Tragen.
167, 16 f. Vorherbestimmung zum Labyrinth] Vgl. NK 169, 7 f. und NK KSA 6, 12,
23-25. Nach „Labyrinth" folgte im Druckmanuskript der schließlich gestrichene
Satz: „Eine Gesundheits-Lehre des Kriegs, mit dem Wahlspruch increscunt
animi virescit volnere virtus." (KSA 14, 437) Die Streichung erfolgte wohl