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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0056
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Stellenkommentar AC 2, KSA 6, S. 169-170 33

handnehmen des Nihilismus (zunächst in christlichem Gewände) N. zufolge
entstanden ist.
N. stellt die Frage nach „gut" und „schlecht" (170, 2-4) in einem außermo-
ralischen Sinne, was sich vor allem an den Antworten zeigt. Es sind ontologi-
sche, allenfalls anthropologische Aussagen, die dennoch verpflichtend wirken.
Noch bei Glück und Schädlichkeit wird ein Sein beschrieben, dessen Realisa-
tion oder Vermeidung den hyperboreischen Aspiranten freilich als Pflicht vor-
geschrieben wird: N.s Seinssätze enthalten unmittelbar Wertungen; sie legen
Zeugnis ab von einer Umwertung, die bereits in vollem Gange ist und genau
das für „gut" erklärt, was der Herdenmoral als „böse" galt. Mit der Wiederauf-
nahme des Begriffspaares „gut"/„schlecht" wird die Herrenmoral neu aufge-
legt, die gemäß GM I 8, KSA 5, 268 für die Herrschenden vor der „Priesterherr-
schaft" und dem „Sklavenaufstand in der Moral" in grauer Vorzeit
gegolten hatte.
Auch in der von N. gelesenen, zeitgenössischen französischen Literatur
wird die Existenz des Guten und des Bösen an sich versuchsweise gerne
bestritten, so z. B. in Paul Bourgets Roman Andre Cornelis, den N. 1887 las (vgl.
NK KSA 6, 146, 19 f.): „Est-ce qu'il y aun Dieu, un bien, un mal, une justice?
Rien, rien, rien, rien. /347/ II n'y a qu'une destinee impitoyable qui pese sur la
race humaine, inique, absurde, distribuant au hasard la douleur et la joie."
(Bourget 1887, 346 f. „Gibt es denn einen Gott, ein Gutes, ein Böses, eine
Gerechtigkeit? Nichts, nichts, nichts, nichts. /347/ Es gibt nur ein erbarmungs-
loses Schicksal, das auf dem menschlichen Geschlecht lastet, unbillig, absurd,
nach Zufall den Schmerz und die Freude verteilend.") Für N. ist dies die typi-
sche Sicht des decadent, der mit der Überfülle des Leidens nicht umgehen
kann.
170, 2-6 Was ist gut? — Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht,
die Macht selbst im Menschen erhöht. / Was ist schlecht? — Alles, was aus der
Schwäche stammt. / Was ist Glück? — Das Gefühl davon, dass die Macht
wächst, dass ein Widerstand überwunden wird.] Zunächst ist ein Einfluss von
Fere 1887, 66 f. sichtbar, vgl. NK KSA 6, 124, 11 f. Wichtig für N.s emphatischen
Begriff des „Gefühls der Macht" ist Höffding 1887, 306 f., vgl. NK KSA 6, 124, 14.
In 170, 2-3 verbindet N. Höffding und die bei Fere gewonnene, physiologische
Einsicht, dass das „Gefühl der Macht" mit der tatsächlichen Macht korreliert
sei, nämlich zu einem Energieschub führe, mit dem eigenen philosophischen
Begriff des Willens zur Macht, der als Mittler zwischen dem Gefühl und der
Macht selbst fungiert. Bei Fere hingegen ist das Machtgefühl und damit die
messbare Kraft direkt mit angenehmen (bzw. im Fall des Ohnmachtsgefühls:
unangenehmen) Sinneswahrnehmungen verbunden, d. h. von äußeren Fakto-
ren abhängig. Vgl. Fere 1887, 64: „Ces differentes experiences concordent par-
 
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