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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0065
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42 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum

Inkaufnahme des Verderbens der meisten ist in AC 4 nicht mehr direkt inten-
diert, obwohl AC 3 mit der Züchtungsidee dafür die Vorlage hätte geben kön-
nen. AC 4 lehnt das Fortschrittskonzept ganz ab und stellt alles dem Zufall
anheim. Den „Kampf mit dem Zufall, auch mit dem Zufall des ,großen Men-
schen'" hatte N. — inspiriert von Herrmann 1887, 78 ff. — in NL 1887, KSA 12,
9[174], 439, 18 f. (KGW IX 6, W II 1, 12, 28-30) noch als Programmpunkt erwo-
gen.
171, 2-5 Die Menschheit stellt nicht eine Entwicklung zum Besseren oder Stär-
keren oder Höheren dar, in der Weise, wie dies heute geglaubt wird. Der „Fort-
schritt" ist bloss eine moderne Idee, das heisst eine falsche Idee.] In GD Streif-
züge eines Unzeitgemässen 37, KSA 6, 136 f. exemplifiziert N. seine Kritik am
Fortschrittsbegriff anhand der Moralentwicklung seit der Renaissance, die sich
nicht — wie gemeinhin angenommen — als ein „Fortschritt" darstelle, sondern
als Verzärtelung, somit als Symptom einer dekadenten Spätzeit. Auch in GD
Streifzüge eines Unzeitgemässen 14, KSA 6, 120 f. wird die Idee einer Vollkom-
menheitssteigerung der „Gattungen" (120, 30) in Abrede gestellt, und zwar in
einem expliziten Gegenentwurf zu Darwins Evolutionstheorie.
N. führt dort sowie in AC 3 u. 4 die Kritik von Nägeli 1884, 285 am Darwi-
nismus fort: „nach Darwin ist die Veränderung das treibende Moment, die
Selection das richtende und ordnende; nach meiner Ansicht ist die Verände-
rung zugleich das treibende und richtende Moment. Nach Darwin ist die
Selection nothwendig; ohne sie könnte eine Vervollkommnung nicht stattfin-
den und würden die Sippen in dem nämlichen Zustande beharren, in welchem
sie sich einmal befinden. Nach meiner Ansicht beseitigt die Concurrenz bloss
das weniger Existenzfähige; aber sie ist gänzlich ohne Einfluss auf das Zustan-
dekommen alles Vollkommneren und besser Angepassten." (N. hat den zweiten
Satz am Rand markiert; Kursivierungen entsprechen seinen Unterstreichun-
gen.) In NL 1888, KSA 13, 14[70], 254, 3-8 (korrigiert nach KGW IX 8, W II 5,
142, 1-8, im Folgenden nur in der von N. überarbeiteten Fassung ohne durchge-
strichene Passagen wiedergegeben) diskutiert N. allerdings einen anderen
Begriff von Fortschritt, der Motive aus dem zweiten Absatz von AC 4 (171, 9-
17) aufnimmt: „Die Lust tritt auf, wo Gefühl der Macht / Das Glück in dem
herrschend gewordenen Bewußtsein [...] der Macht und des Siegs / Der Fort-
schritt: die Verstärkung des Typus, die Fähigkeit zum großen Wollen: alles
Andere ist Mißverständniß, Gefahr".
171, 4 f. Der „Fortschritt" ist bloss eine moderne Idee, das heisst eine falsche
Idee.] Ein Satz wie dieser suggeriert zwar Wissenschaftlichkeit, ist aber als
syllogistischer Schluss unvollständig. Die maior-Prämisse müsste lauten: ,Alles
Moderne ist falsch'. In NL 1888, KSA 13, 16[82], 514 wird unter dem Titel „die
 
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