Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0090
Lizenz: In Copyright

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar AC 10, KSA 6, S. 176 67

ben. Durch den Zweifel dient der Protestantismus der Freiheit; durch den Glau-
ben würde er ihr zu dienen aufhören und sie sogar bedrohen, wenn er logisch
wäre. Aber das Merkmal gewisser Geister ist eben genau, dass sie mit allem
auf halbem Weg aufhören. Zwischen Autorität und Freiheit, zwischen Glauben
und Vernunft, zwischen Vergangenheit und Zukunft.").
176, 15 peccatum originale] Guyau 1887, 119 hatte auch daran erinnert, dass
die Lehre von der Erbsünde, peccatum originale, zum Grundbestand der protes-
tantischen Glaubenslehre gehört (Anstreichungen N.s). N. kehrt dieses Muster
um und erklärt den Protestantismus selbst zur Erbsünde, nämlich der deut-
schen Philosophie. In 176, 12 f. wird die Verderbnis- und Blutmetaphorik, die
die Erbsündentheologie zu begleiten pflegt, bereits aufgenommen.
176, 17-19 Man hat nur das Wort „Tübinger Stift" auszusprechen, um zu begrei-
fen, was die deutsche Philosophie im Grunde ist — eine hinterlistige Theolo-
gie...] Das 1536 gegründete Evangelische Stift Tübingen, das sich der Ausbil-
dung und Erziehung künftiger Theologen widmet(e), durchliefen im späten 18.
und 19. Jahrhundert u. a. Hegel, Hölderlin, Schelling, Ferdinand Christian
Baur, Friedrich Theodor Vischer, David Friedrich Strauß und Eduard Zeller. N.s
kritische Wahrnehmung der geistesgeschichtlich relevant werdenden Stiftler
findet sich bereits in JGB 11, KSA 5, 25, 2-10: „Es kam der Honigmond der
deutschen Philosophie; alle jungen Theologen des Tübinger Stifts giengen als-
bald in die Büsche, — alle suchten nach ,Vermögen'. Und was fand man nicht
Alles — in jener unschuldigen, reichen, noch jugendlichen Zeit des deutschen
Geistes, in welche die Romantik, die boshafte Fee, hineinblies, hineinsang,
damals, als man ,finden' und ,erfinden' noch nicht auseinander zu halten
wusste! Vor Allem ein Vermögen für's ,Übersinnliche'." Auch in JGB 11 steht die
Auslassung über das Tübinger Stift im Zusammenhang mit einer Kant-Kritik;
theologieverdächtig waren die Produkte des Tübinger Stifts schon in NL 1884,
KSA 11, 25[303], 88: „die deutsche Philosophie, welche nach dem Tübinger Stift
riecht".
176, 20 f. Die Schwaben sind die besten Lügner in Deutschland, sie lügen
unschuldig...] Die Vorstellung, dass die Schwaben Lügner seien — freilich noch
nicht diejenigen des Tübinger Stifts — findet sich bereits bei Johann Fischart,
in dessen Affentheurlich Naupengeheurlicher Geschichtklitterung (1575, Cap. 57)
es heißt: „ich kan auch noch fünff Sprachen ohn Schwätzenschwäbisch, das
ist die sechßt, heißt Lügen" (Fischart 1886-1891, 2, 459). Keller 1907, 165 notiert
dazu: „Nur Fischart ist der Meinung, die Schwaben seien Lügner. Da sonst
niemand an ihrer Ehrlichkeit zweifelt, so will Fischart damit wohl nur sagen,
sie reden so schrecklich viel, daß das gar nicht alles wahr sein kann." Vgl.
zum Schwabenland NK 233, 29-33.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften