82 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum
179, 18 Als wissenschaftlicher Charakter war man Tschandala...] Während nach
N.s Dafürhalten doch gerade mit dem Christentum die „Tschandala-Moral" als
Moral der niedersten Schichten obenauf kommt, vgl. AC 57, KSA 6, 241-244.
Zum Begriff „Tschandala" vgl. NK KSA 6, 100, 17 f. u. NK 198, 18 f.
179, 27-29 sie verlangte von der Wahrheit einen pittoresken Effekt, sie ver-
langte insgleichen vom Erkennenden, dass er stark auf die Sinne wirke] Vgl.
Sommer 2000a, 164-166. In Bourget 1886, 185 hat sich N. die nach der Klam-
mer folgende Textpassage am rechten Rand mit Bleistift markiert und die kursi-
vierten Worte unterstrichen: „[Les Goncourt sont donc des artistes eperdüment
amoureux du pittoresque, et par suite, quand ils ecrivent,] leur besoin est de
faire passer dans les mots des sensations de pittoresque." („[Die Brüder Gon-
court sind also Künstler, die ungemein in das Pittoreske verliebt sind und so,
wenn sie schreiben,] ist es ihr Bedürfnis, mit den Worten Empfindungen des
Pittoresken zu übermitteln.") S. 192 fügt N. links und rechts am Rand „NB" zu
Bourgets Feststellung hinzu: „avoir du style, se trouve etre le synonyme de
cette autre: ecrire avec pittoresque" („Stil haben erweist sich als Synomym von:
schreiben mit Pittoreskem"). Danach heißt es, ohne Randglossen, aber mit hier
wiederum kursivierten Unterstreichungen: „C'est pour avoir neglige le pittores-
que de la phrase que Stendhal, ce psychologue d'une si fine justesse de nota-
tion, et par consequent cet admirable ecrivain, est traite par M. Edmond de
Goncourt [...], de ,pauvre styliste..."' („Weil er das Pittoreske des Satzes gering
geschätzt hat, wird Stendhal, dieser Psychologe einer so feinen Angemessenheit
der Bezeichnung und in der Konsequenz dieser bewundernswerte Schriftsteller,
von Herrn Edmond de Goncourt [...] als ,armseliger Stilist' behandelt...") Noch
in EH Warum ich so klug bin 10, KSA 6, 296, 34 warnt N. „vor allen pittoresken
Menschen". Vgl. zum „pittoresken" Bedürfnis der Masse AC 54, KSA 6, 237, 18 f.,
zu N.s Bourget-Rezeption Platz 1937.
Dass auch AC „stark auf die Sinne" wirken soll, versteht sich. Zeitgleich
zu AC hat übrigens Heinrich Wölfflin in Renaissance und Barock (1888) daran
erinnert, dass ,,[ü]bereinstimmend [...] von den Geschichtsschreibern der Kunst
als wesentlichstes Merkmal der Barockarchitectur der malerische Charakter
angegeben" werde (Wölfflin 2009, 27). Wölfflin erläutert diesen pittoresken Stil
ausführlich (ebd., 27-38).
179, 29 f. Unsre Bescheidenheit gieng ihr am längsten wider den
Geschmack...] „Bescheidenheit" als Kardinaltugend der „freien Geister" mag
überraschen: Die platonische owcpponvvri — die von der temperantia christlich
zur humilitas, zur Demut konvertierte — um der maßlosen superbia Einhalt zu
gebieten, taucht antichristlich frisch drapiert als „Bescheidenheit" wieder
auf — eine „Bescheidenheit", die der sokratischen Selbstbescheidung ähnlich
179, 18 Als wissenschaftlicher Charakter war man Tschandala...] Während nach
N.s Dafürhalten doch gerade mit dem Christentum die „Tschandala-Moral" als
Moral der niedersten Schichten obenauf kommt, vgl. AC 57, KSA 6, 241-244.
Zum Begriff „Tschandala" vgl. NK KSA 6, 100, 17 f. u. NK 198, 18 f.
179, 27-29 sie verlangte von der Wahrheit einen pittoresken Effekt, sie ver-
langte insgleichen vom Erkennenden, dass er stark auf die Sinne wirke] Vgl.
Sommer 2000a, 164-166. In Bourget 1886, 185 hat sich N. die nach der Klam-
mer folgende Textpassage am rechten Rand mit Bleistift markiert und die kursi-
vierten Worte unterstrichen: „[Les Goncourt sont donc des artistes eperdüment
amoureux du pittoresque, et par suite, quand ils ecrivent,] leur besoin est de
faire passer dans les mots des sensations de pittoresque." („[Die Brüder Gon-
court sind also Künstler, die ungemein in das Pittoreske verliebt sind und so,
wenn sie schreiben,] ist es ihr Bedürfnis, mit den Worten Empfindungen des
Pittoresken zu übermitteln.") S. 192 fügt N. links und rechts am Rand „NB" zu
Bourgets Feststellung hinzu: „avoir du style, se trouve etre le synonyme de
cette autre: ecrire avec pittoresque" („Stil haben erweist sich als Synomym von:
schreiben mit Pittoreskem"). Danach heißt es, ohne Randglossen, aber mit hier
wiederum kursivierten Unterstreichungen: „C'est pour avoir neglige le pittores-
que de la phrase que Stendhal, ce psychologue d'une si fine justesse de nota-
tion, et par consequent cet admirable ecrivain, est traite par M. Edmond de
Goncourt [...], de ,pauvre styliste..."' („Weil er das Pittoreske des Satzes gering
geschätzt hat, wird Stendhal, dieser Psychologe einer so feinen Angemessenheit
der Bezeichnung und in der Konsequenz dieser bewundernswerte Schriftsteller,
von Herrn Edmond de Goncourt [...] als ,armseliger Stilist' behandelt...") Noch
in EH Warum ich so klug bin 10, KSA 6, 296, 34 warnt N. „vor allen pittoresken
Menschen". Vgl. zum „pittoresken" Bedürfnis der Masse AC 54, KSA 6, 237, 18 f.,
zu N.s Bourget-Rezeption Platz 1937.
Dass auch AC „stark auf die Sinne" wirken soll, versteht sich. Zeitgleich
zu AC hat übrigens Heinrich Wölfflin in Renaissance und Barock (1888) daran
erinnert, dass ,,[ü]bereinstimmend [...] von den Geschichtsschreibern der Kunst
als wesentlichstes Merkmal der Barockarchitectur der malerische Charakter
angegeben" werde (Wölfflin 2009, 27). Wölfflin erläutert diesen pittoresken Stil
ausführlich (ebd., 27-38).
179, 29 f. Unsre Bescheidenheit gieng ihr am längsten wider den
Geschmack...] „Bescheidenheit" als Kardinaltugend der „freien Geister" mag
überraschen: Die platonische owcpponvvri — die von der temperantia christlich
zur humilitas, zur Demut konvertierte — um der maßlosen superbia Einhalt zu
gebieten, taucht antichristlich frisch drapiert als „Bescheidenheit" wieder
auf — eine „Bescheidenheit", die der sokratischen Selbstbescheidung ähnlich