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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0110
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Stellenkommentar AC 14, KSA 6, S. 180 87

mehr, „bewegt" nicht mehr...) Es handelt sich um eine verkürzende Wiedergabe
folgender Stelle aus Feres Degenerescence et criminalite: „Les etudes physiolo-
giques ont eu beau demontrer que la liberte morale, dont l'homme sain est
suppose jouir, n'est qu'une fiction, et que la volonte n'est en somme qu'une
resultante, une reaction individuelle, consequence /99/ necessaire d'excitations
multiples, contradictoires ou concordantes, que toutes les determinations
humaines sont soumises ä toutes sortes d'influences materielles, dont les effets
varient suivant le ton de l'individu, mais ne peuvent etre modifiees par aucune
force immaterielle; les esprits les plus eclaires continuent ä raisonner en
matiere de responsabilite comme si le libre arbitre etait demontre par des preu-
ves objectives au-dessus de toute contestation." (Fere 1888, 98 f.; von N. Unter-
strichenes hier kursiviert. „Die physiologischen Forschungen konnten gut zei-
gen, dass die moralische Freiheit, von der man annimmt, der gesunde Mensch
erfreue sich ihrer, nichts als eine Fiktion ist, und dass der Wille in der Summe
nichts anderes als eine Resultante, eine individuelle Reaktion, /99/ notwendige
Konsequenz vielfältiger, widersprüchlicher oder zusammenspielender Reize ist,
dass alle menschlichen Bestimmungen allen Arten materieller Einflüsse unter-
worfen sind, deren Wirkung gemäß der Tönung des Individuums variieren, die
aber durch keine immaterielle Macht modifiziert werden können. Und doch
fahren die aufgeklärtesten Geister in Sachen Verantwortung so zu räsonieren
fort, als ob der freie Wille durch objektive Beweise über alle Zweifel erhaben
und bewiesen wäre." Vgl. auch Fere 1887, 68; beide Nachweise bei Brusotti
2011).
Das in 180, 24-28 Behauptete, das N. stillschweigend von Fere übernimmt,
ist mit seinen sonstigen Verlautbarungen zum „Willen zur Macht" nur schwer
zu harmonisieren: wie ließe sich ein „Wille zur Macht" denken, wenn „Wille"
ein bloß reaktives, durch die jeweiligen Umstände („Reize") determiniertes Ver-
mögen, eine „Resultante" wäre? Müsste, um den „Willen zur Macht" als uni-
versales Prinzip anzusetzen, sich der Wille — ob nun frei oder unfrei — nicht
von seiner Reizgebundenheit, von bloßer Reaktivität lösen, um ein Erstes,
Unableitbares zu sein?
180, 29 f. Ehemals sah man im Bewusstsein des Menschen, im „Geist", den
Beweis seiner höheren Abkunft, seiner Göttlichkeit] Vgl. NK KSA 6, 295, 33-296,
6.
180, 31 f. nach der Art der Schildkröte, die Sinne in sich hineinzuziehn] Vgl. NL
1887/88, KSA 13, 11[64], 32, 8-11 (korrigiert nach KGW IX 7, W II 3, 168, 10-14):
„,wenn du, der Schildkröte gleich, die ihre fünf Gliedmaßen in ihre Schale
zurückzieht, deine fünf Sinne in dich selber zurückziehst, so wird dir dies
noch nach dem Tode zu Gunsten kommen. (D)u wirst die himmlische Seligkeit
 
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