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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0113
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90 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum

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Eine systematische Rekonstruktion des Abschnitts bietet Sleinis 1994, 119-122.
Er empfiehlt, N.s Argumentation strategisch zu verstehen. Vgl. GD Die vier
grossen Irrthümer 4-6, KSA 6, 92-95.
181, llf. Weder die Moral noch die Religion berührt sich im Christenthume mit
irgend einem Punkte der Wirklichkeit.] Guyau 1887, 103 f. hatte für die ursprüng-
lichen, primitiven Religionen eine erheblich größere Wirklichkeitsnähe
behauptet: „La foi, dans les religions primitives, etait tout experi-/104/mentale,
physique; elle ne s'opposait pas ä la croyance scientifique, qui, a vrai dire,
n'existait pas. [...] On a attribue l'origine de la foi religieuse au seul besoin du
merveilleux, de l'extraordinaire; nous avons dejä montre que les religions font,
au contraire, ce qu'elles peuvent pour regier la marche de l'imagination, tout
en l'excitant, et pour ramener l'inconnu au connu. Il faut que le merveilleux
soit un moyen de rendre une chose comprehensible en apparence; il faut que
l'invisible se fasse toucher du doigt." („Der Glaube in den primitiven Religio-
nen war ganz experimentell, /104/ körperlich; dieser Glaube war kein Gegen-
satz zu den wissenschaftlichen Überzeugungen, die, um die Wahrheit zu
sagen, noch gar nicht existierten. [...] Man hat den Ursprung des religiösen
Glaubens einzig im Bedürfnis nach Wunderbarem, nach Besonderem gesehen;
wir haben jedoch bereits gezeigt, dass die Religionen ganz im Gegenteil alles
tun, was sie können, um den Gang der Einbildungskraft zu regulieren, sie aber
gleichzeitig reizen, und um das Unbekannte auf das Bekannte zurückzuführen.
Das Wunderbare muss ein Mittel sein, eine Sache vordergründig erfassbar zu
machen; es ist notwendig, dass sich das Unsichtbare mit dem Finger berühren
lässt.") Dieser verhältnismäßigen Wirklichkeitsnähe vor- und außerchristlicher
Religion gegenüber bringt N. nun sein Argument in Stellung, das Christentum
verleugne alle Wirklichkeit — und zwar aus „Hass gegen das Natürliche"
(181, 32). Der Gedanke von 181, ll f. kehrt in AC 47, KSA 6, 225, 20 f. wieder.
181, 12-14 Lauter imaginäre Ursachen („Gott", „Seele", „Ich" „Geist", „der
freie Wille" — oder auch „der unfreie")] Diese zum Grundbestand der abendlän-
dischen Metaphysik gehörenden Begriffe scheinen nicht spezifisch christlich
zu sein; N. sagt auch nicht, von welchen Ursachen eine nicht-imaginäre Kausa-
litätslehre stattdessen auszugehen hätte. Dass der Begriff der „imaginären
Ursachen" beim späten N. flüssig bleibt, zeigt ein Blick auf GD Die vier grossen
Irrthümer 4-6 und 7 (KSA 6, 92-96), wo der „freie Wille" als eigener großer
Irrtum abgehandelt wird und gerade nicht unter die „imaginären Ursachen"
subsumiert wird.
181, 14-16 lauter imaginäre Wirkungen („Sünde", „Erlösung", „Gnade",
„Strafe", „Vergebung der Sünde")] Im Unterschied zu den „imaginären Ursa-
 
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