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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0123
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100 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum

das ganze Buch kennt nur einen Künstler-Sinn und -Hintersinn hinter allem
Geschehen, — einen ,Gott', wenn man will, aber gewiss nur einen gänzlich
unbedenklichen und unmoralischen Künstler-Gott, der im Bauen wie im Zer-
stören, im Guten wie im Schlimmen, seiner gleichen Lust und Selbstherrlich-
keit inne werden will".
182, 21-23 Die widernatürliche Castration eines Gottes zu einem Gotte
bloss des Guten läge hier ausserhalb aller Wünschbarkeit.] Zum Gebrauch der
Kastrationsmetapher vgl. NK KSA 6, 83, 2-4 u. 143, 20-22. Wann ist eine Kastra-
tion nicht „widernatürlich"? Demgegenüber hatte Guyau 1887, VIII die Heraus-
bildung einer moralischen Gottesvorstellung für ein positives Anzeichen der
Gattungsentwicklung gehalten: „Plus tard se produisit une conception superie-
ure; l'homme, en grandissant, grandit son Dieu, il lui donna un caractere plus
moral: ce dieu est le nötre." (Kursiviertes von N. unterstrichen; am Rand mit
Ausrufezeichen markiert. „Später entstand ein höheres Konzept; während der
Mensch wuchs, wuchs auch sein Gott, der Mensch gab ihm einen moralische-
ren Charakter, dieser Gott ist der unsere.") AC 16 interpretiert die Entwicklung
des Gottesbegriffs nicht wie in der damaligen Religionswissenschaft üblich als
eine Aufstiegs-, sondern als eine Verfallsgeschichte. Der Gott des Christentums
ist keinesfalls — wie selbst noch für Feuerbach — die höchste Form des sich
objektivierenden Gattungsbewusstseins, sondern im Gegenteil seine äußerste
Degenerationsform.
182, 25 f. Was läge an einem Gotte, der nicht Zorn, Rache, Neid, Hohn, List,
Gewaltthat kennte?] Die Diagnose, dass Israels ambivalenter Stammesgott
schließlich zu einem rückhaltlos guten Gott werde, deckt sich teilweise mit
Wellhausen (vgl. z. B. 1887, 164, 168 u. 218). Jedoch wird im Judentum für Well-
hausen „Jahve zwar zum Weltgott, aber er bleibt weiterhin ,zornig' und ver-
spricht weiterhin die Vollstreckung seiner Rache" (Ahlsdorf 1990, 201, vgl.
Wellhausen 1884, 48 f. u. 1883, 443).
182, 29-183, 2 Freilich: wenn ein Volk zu Grunde geht; wenn es den Glauben
an Zukunft, seine Hoffnung auf Freiheit endgültig schwinden fühlt; wenn ihm
die Unterwerfung als erste Nützlichkeit, die Tugenden der Unterworfenen als
Erhaltungsbedingungen in's Bewusstsein treten, dann muss sich auch sein Gott
verändern.] N. hat unter dem Eindruck der Lektüre von Wellhausen und Renan
offenbar das Judentum des Babylonischen Exils und die Zeit danach vor
Augen.

183, 3 f. „Frieden der Seele"] Vgl. NK KSA 6, 84, 21-23.
 
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