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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0126
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Stellenkommentar AC 17, KSA 6, S. 183 103

Juda le Gaulonite. S'elevant hardiment au-dessus des prejugees de sa nation,
il etablira l'universelle paternite de Dieu." (Renan 1863, 78. „Der Gott Jesu ist
nicht der parteiische Despot, der Israel als sein Volk gewählt hat und es gegen
alle verteidigt. Er ist der Gott der Menschlichkeit. Jesus wird kein Patriot sein
wie die Makkabäer, kein Theokrat wie Judas der Galiläer. Indem er sich mutig
über die Vorurteile seiner Nation stellte, wird er die universelle Vaterschaft
Gottes aufrichten.") Im Unterschied zu N. löst Renan diesen humanitären, uni-
versalisierten Gott von den jüdischen Vorstellungen ab und deklariert ihn als
exklusive Erfindung Jesu. („Une haute notion de la divinite, qu'il ne dut pas
au judaisme, et qui semble avoir ete de toutes pieces la creation de sa grande
äme, fut en quelque sorte le principe de toute sa force." Renan 1863, 74. „Ein
hoher Begriff von Gott, den er nicht dem Judentum verdankte und die in jeder
Hinsicht eine Schöpfung seiner großen Seele gewesen zu sein scheint, war in
gewisser Weise das Prinzip seiner ganzen Stärke.") Eine derartige schöpferi-
sche Originalität streitet N. Jesus ab; er betrachtet die Entwicklung des Gottes-
begriffes vom israelitischen Stammesgott über den exilischen und nachexili-
schen Gott der Erwählten bis hin zum universalen christlichen Gott vielmehr
als eine notwendige und schlüssige Abfolge in der Geschichte der Dekadenz.
183, 31f. Volksgotte] Wellhausen gebraucht den Ausdruck, vgl. z. B. Wellhau-
sen 1887, 184: „Bei den Hebräern hat der Volksgott die Fülle der Göttlichkeit
aufgesogen ohne sein Wesen als Volksgott und seinen dadurch bedingten his-
torisch-realistischen Inhalt aufzugeben." Zum Thema eingehend Orsucci 1996,
322-325, ferner Orsucci 2011. Bei Wellhausen 1884, 44 waren ,,[n]icht Gott und
Welt, nicht Gott und Mensch, sondern Gott und Volk [...] die Correlata". Jahve
als Weltgott stelle eine kompensatorische Erfindung der Propheten nach dem
politischen Zusammenbruch in den Königreichen von Juda und Israel dar:
„Jahves Machtbereich geht über sein eigenes Volk hinaus, ihm gehorcht die
ganze Welt. So bleibt das Vertrauen bestehen, auch wenn das Volk unterzuge-
hen droht — was normalerweise zur Folge gehabt hätte, dass, wie Wellhausen
es so drastisch formuliert, die Götter in der ,Rumpelkammer' gelandet wären."
(Ahlsdorf 1990, 194 nach Wellhausen 1884, 49) Dieser Gott erweitert nach Well-
hausen zunächst „zwar seinen Machtbereich, aber er bleibt ein Gott der Juden,
dem es weiterhin nur um sein eigenes auserwähltes Volk geht, und dieses
erhält er auch als Volk. Zumindest in diesem Punkt geht N. deshalb über Well-
hausen hinaus, seine Version des Gottes der Juden wird in AC 16 einen Schritt
zu schnell zum christlichen Gott für alle Menschen." (Ahlsdorf 1990, 185) Göt-
ter als synthetischen Ausdruck eines Volkscharakters hatte N. auch in Dosto-
jewskijs Bessy dargestellt gefunden; eine Darstellung, die er in AC 16 und 17
mit Wellhausen und Renan kontaminiert, vgl. NK 182, 11-13.
 
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