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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0125
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102 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum

mit Wellhausen anzunehmen, der Dualismus habe sich erst in nachexilischer
Spätzeit bei den Juden herausgebildet, vgl. z. B. Wellhausen 1884, 96: „Ein
Schritt weiter führte dazu, dass der Kampf des irdischen Dualismus in den
Lüften vorgespielt wurde, von den Engeln als Vertretern der Mächte und Natio-
nen. Auch dem Satan wurde in diesem Kampfe eine Stelle zugewiesen; wäh-
rend er zunächst bloss der von Gott selbst bestellte Ankläger war, in dieser
Eigenschaft auch die Sünden der Juden vor dem Stuhle Gottes geltend machte
und dadurch die richterliche Entscheidung zu ihren Gunsten aufhielt, wurde
er zuletzt, indessen erst ziemlich spät und noch nicht im Buche Daniel, zum
selbständigen Führer der widergöttlichen Macht, kraft der Identificierung der
Sache Gottes und der Juden." (Vgl. auch Lippert 1882, 96-111.) In NL 1887/88,
KSA 13, 11[287], 112 notiert N. (korrigiert nach KGW IX 7, W II 3, 88, 2-10, im
Folgenden zunächst in der ursprünglichen Fassung wiedergegeben): „In den
Begriff der Macht, sei es eines Gottes, sei es eines Menschen, ist immer
zugleich die Fähigkeit zu nützen und die Fähigkeit zu schaden eingerech-
net. So bei den Arabern; so bei den Hebräern. / Es ist ein verhängnisvoller
Schritt, wenn man dualistisch die Kraft zum Einen von der zum Anderen
trennt... und verschiedene Personen substituirt."
In der von N. überarbeiteten Fassung lautet dieselbe Passage nach KGW
IX 7, W II 3, 88, 2-12: „In den Begriff der Macht, sei es eines Gottes, sei es eines
Menschen, ist immer zugleich die Fähigkeit zu nützen und die Fähigkeit zu
schaden eingerechnet. So bei den Arabern; so bei den Hebräern. So bei
allen stark gerathenen Rassen. / Es ist ein verhängnisvoller Schritt, wenn man
dualistisch die Kraft zum Einen von der zum Anderen trennt... Damit
wird die Moral zur Giftmischerin des Lebens..." Der erste Abschnitt paraphra-
siert hier Wellhausen 1887, 218, der zweite hingegen, soweit er von der Moral
als „Giftmischerin des Lebens" spricht und das Ganze in ein Dekadenzmodell
einbaut, ist die genuine Zutat N.s.
183, 29-184, 2 Wie kann man heute noch der Einfalt christlicher Theologen so
viel nachgeben, um mit ihnen zu dekretiren, die Fortentwicklung des Gottesbe-
griffs vom „Gotte Israels", vom Volksgotte zum christlichen Gotte, zum Inbegriff
alles Guten sei ein Fortschritt? — Aber selbst Renan thut es. Als ob Renan
ein Recht auf Einfalt hätte!] N. distanziert sich hier scharf von der liberalen
Theologie, die im Christentum einen humanistischen Gottesbegriff entwickelt
sehen will, welcher sich vom jüdischen Stammesgott positiv unterscheide (vgl.
Santaniello 1994, 122-134). N. bezieht sich bei Renan wohl auf Stellen wie die
folgende: „Le Dieu de Jesus n'est pas le despote partial qui a choisi Israel pour
son peuple et le protege envers et contre tous. C'est le Dieu de l'humanite.
Jesus ne sera pas un patriote comme les Macchabees, un theocrate comme
 
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