Stellenkommentar AC 24, KSA 6, S. 190-191 127
stinkt, es ist dessen Folgerichtigkeit selbst, ein Schluss weiter in dessen furchtein-
flössender Logik] Dass die Wurzeln des Christentums im nachexilischen Juden-
tum liegen, ist keine Neuentdeckung N.s. Mit der Etablierung einer kritischen
Bibelwissenschaft hat sich diese implizit immer schon vorhandene Einsicht
samt ihren weit reichenden Konsequenzen spätestens seit dem 18. Jahrhundert
durchgesetzt und ist bei den Autoritäten, die N. verarbeitet — allen voran Well-
hausen und Renan — unbestritten. Bemerkenswert ist aber die bruchlose Kon-
tinuität, die N. zwischen Judentum und (paulinischem) Christentum konstru-
iert: Im Gegensatz zum theologischen Konsens seit den Kirchenvätern stellt
das Christentum, das sich seit seiner Frühzeit in dezidierter Antithese zum
Judentum definiert hat, für N. keine Emanzipation aus dem Judentum, sondern
dessen Fortschreibung dar (vgl. z. B. Kofman 1994, 85). Um den zäsurfreien
Übergang vom Judentum zum Christentum plausibel zu machen, muss erstens
die Rolle Jesu überdacht werden. Zweitens muss eine Neubewertung der christ-
lichen Theologie und insbesondere des Paulinismus stattfinden, die aufzeigt,
dass das, was sich selber als Emanzipation vom Judentum darstellt, in Wahr-
heit nur eine Travestie ebendesselben Judentums „in unsäglich vergrösserten
Proportionen" (192, 7 f.) sei. Den ersten Aspekt behandeln AC 28 bis 35, den
zweiten AC 39 bis 47.
191, 21 „das Heil kommt von den Juden"] Johannes 4, 22. Vgl. NL 1887, KSA 12,
10[182] (KGW IX 6, W II 2, 15, 1), 565 u. Ahlsdorf 1990, 184. In NL 1880, KSA 9,
3[20], 52 wird diesem vorgeblichen Herrenwort bereits eine katalytische Funk-
tion beim Übergang des antiken Heidentums zum Christentum zugeschrieben.
N. greift es in AC 58, KSA 6, 247, 5 f. wieder auf und schließt damit seine Dar-
stellung der jüdisch-christlichen Geschichte. N. schreibt in AC die Heilsge-
schichte zu einer Unheilsgeschichte um.
191, 22-26 der psychologische Typus des Galiläers ist noch erkennbar, aber
erst in seiner vollständigen Entartung (die zugleich Verstümmelung und Überla-
dung mit fremden Zügen ist — ) hat er dazu dienen können, wozu er gebraucht
worden ist, zum Typus eines Erlösers der Menschheit] Das wird in AC 28-35,
KSA 6, 198-208 ausführlich erörtert. N. macht einen ironischen Gebrauch von
den Ausdrücken „Heil" (191, 21) und „Erlöser".
191, 22 Galiläers] N. hält sich an Renans Sprachregelung, wenn er, den Evan-
gelien folgend, Jesus als „Galiläer" oder als „Nazarener" (AC 7, KSA 6, 173, 5 f.)
bezeichnet, sei dieser doch nicht, wie die Legende es wolle, in Bethlehem
geboren (Renan 1863, 19 f.). Wagners Religion und Kunst zufolge bleibe „es
mehr als zweifelhaft, ob Jesus selbst von jüdischem Stamme gewesen sei, da
die Bewohner von Galiläa eben ihrer unächten Herkunft wegen von den Juden
verachtet waren" (Wagner 1907, 10, 231 f.).
stinkt, es ist dessen Folgerichtigkeit selbst, ein Schluss weiter in dessen furchtein-
flössender Logik] Dass die Wurzeln des Christentums im nachexilischen Juden-
tum liegen, ist keine Neuentdeckung N.s. Mit der Etablierung einer kritischen
Bibelwissenschaft hat sich diese implizit immer schon vorhandene Einsicht
samt ihren weit reichenden Konsequenzen spätestens seit dem 18. Jahrhundert
durchgesetzt und ist bei den Autoritäten, die N. verarbeitet — allen voran Well-
hausen und Renan — unbestritten. Bemerkenswert ist aber die bruchlose Kon-
tinuität, die N. zwischen Judentum und (paulinischem) Christentum konstru-
iert: Im Gegensatz zum theologischen Konsens seit den Kirchenvätern stellt
das Christentum, das sich seit seiner Frühzeit in dezidierter Antithese zum
Judentum definiert hat, für N. keine Emanzipation aus dem Judentum, sondern
dessen Fortschreibung dar (vgl. z. B. Kofman 1994, 85). Um den zäsurfreien
Übergang vom Judentum zum Christentum plausibel zu machen, muss erstens
die Rolle Jesu überdacht werden. Zweitens muss eine Neubewertung der christ-
lichen Theologie und insbesondere des Paulinismus stattfinden, die aufzeigt,
dass das, was sich selber als Emanzipation vom Judentum darstellt, in Wahr-
heit nur eine Travestie ebendesselben Judentums „in unsäglich vergrösserten
Proportionen" (192, 7 f.) sei. Den ersten Aspekt behandeln AC 28 bis 35, den
zweiten AC 39 bis 47.
191, 21 „das Heil kommt von den Juden"] Johannes 4, 22. Vgl. NL 1887, KSA 12,
10[182] (KGW IX 6, W II 2, 15, 1), 565 u. Ahlsdorf 1990, 184. In NL 1880, KSA 9,
3[20], 52 wird diesem vorgeblichen Herrenwort bereits eine katalytische Funk-
tion beim Übergang des antiken Heidentums zum Christentum zugeschrieben.
N. greift es in AC 58, KSA 6, 247, 5 f. wieder auf und schließt damit seine Dar-
stellung der jüdisch-christlichen Geschichte. N. schreibt in AC die Heilsge-
schichte zu einer Unheilsgeschichte um.
191, 22-26 der psychologische Typus des Galiläers ist noch erkennbar, aber
erst in seiner vollständigen Entartung (die zugleich Verstümmelung und Überla-
dung mit fremden Zügen ist — ) hat er dazu dienen können, wozu er gebraucht
worden ist, zum Typus eines Erlösers der Menschheit] Das wird in AC 28-35,
KSA 6, 198-208 ausführlich erörtert. N. macht einen ironischen Gebrauch von
den Ausdrücken „Heil" (191, 21) und „Erlöser".
191, 22 Galiläers] N. hält sich an Renans Sprachregelung, wenn er, den Evan-
gelien folgend, Jesus als „Galiläer" oder als „Nazarener" (AC 7, KSA 6, 173, 5 f.)
bezeichnet, sei dieser doch nicht, wie die Legende es wolle, in Bethlehem
geboren (Renan 1863, 19 f.). Wagners Religion und Kunst zufolge bleibe „es
mehr als zweifelhaft, ob Jesus selbst von jüdischem Stamme gewesen sei, da
die Bewohner von Galiläa eben ihrer unächten Herkunft wegen von den Juden
verachtet waren" (Wagner 1907, 10, 231 f.).