336 Ecce homo. Wie man wird, was man ist
gern, daß die landläufigen und im Grunde vernünftigen Begriffe über das
Erlaubte hier einmal einen Ausnahmefall zuließen. Übrigens rede ich von
mir selber mit aller möglichen psychologischen ,Schläue' und Heiterkeit, —
ich möchte durchaus nicht als Prophet, Unthier und Moral-Scheusal vor die
Menschen hintreten. Auch in diesem Sinne könnte dies Buch gut thun: es
verhütet vielleicht, daß ich mit meinem Gegensatz verwechselt werde."
(KSB 8, Nr. 1137, S. 462, Z. 81-90) Eine „Probe" (S. 462, Z. 77) wolle er mit EH
machen, heißt es in diesem Brief weiter (vgl. NK ÜK EH 1), und zwar vor der
„Umwerthung", wie weit er gehen könne in der Herausforderung von Zensur
und Obrigkeit. Das Präparatorische von EH wird etwa gegenüber Naumann am
06. 11. 1888 betont (KSB 8, Nr. 1139, S. 463).
Hingegen handelt es sich bei dem gerne zitierten Brief an Elisabeth Förster-
N. von „ungefähr Mitte Oktober 1888", bei dem wir es mit dem „ersten briefli-
chen Zeugnis" zu EH zu tun haben sollen (so z. B. in Raoul Richters Nachwort
zur EH-Erstausgabe, Leipzig 1908, 134 und GoA 15, Leipzig 1922, X), schlicht
um eine Fälschung aus der Werkstatt der Schwester. Dort ist u. a. zu lesen:
„Ich schreibe in diesem goldenen Herbst, dem schönsten, den ich je erlebt
habe, einen Rückblick auf mein Leben, nur für mich selbst. Niemand soll es
lesen mit Ausnahme eines gewissen guten Lama's, wenn es über's Meer
kommt, den Bruder zu besuchen. Es ist nichts für deutsches Hornvieh, dessen
Cultur im lieben Vaterland so erstaunlich zunimmt. Ich will das Manuskript
vergraben und verstecken, es mag verschimmeln und wenn wir allesammt
schimmeln, mag es seine Auferstehung feiern." (KGB III 7/3, 1, S. 41 f.) Entgegen
der Suggestion dieser Brieffälschung war EH von Anfang an nicht für den
(familiären) Privatgebrauch, sondern für eine große Öffentlichkeit bestimmt.
N. erweist sich in den brieflichen Zeugnissen als ausgesprochen auskunftsfreu-
dig, was die Entstehung und den Charakter von EH angeht, wobei der Stolz
auf das Werk und auf sich selbst immer stärker hervortritt: „Mein ,Ecce homo.
Wie man wird, was man ist' sprang innerhalb des 15. Oktobers, meines
allergnädigsten Geburtstags und -Herrn, und dem 4. November mit einer anti-
ken Selbstherrlichkeit und guten Laune hervor, daß es mir zu wohlgerathen
scheint, um einen Spaaß dazu machen zu dürfen. Die letzten Partien sind
übrigens bereits in einer Tonweise gesetzt, die den Meistersingern abhanden
gekommen sein muß, ,die Weise des Weitregierenden'... Das Schlußcapitel
hat die unerquickliche Überschrift: Warum ich ein Schicksal bin. Daß dies
nämlich der Fall ist, wird so stark bewiesen, daß man am Schluß vor mir als
,Larve' und ,fühlende Brust' sitzen bleibt..." (N. an Köselitz, 13. 11. 1888, KSB 8,
Nr. 1142, S. 467, Z. 24-35) Etwas weniger euphorisch als im Brief an den Jünger
heißt es gleichentags an den Freund Overbeck: „Letzteres [sc. das Manuskript
von EH], von absoluter Wichtigkeit, giebt einiges Psychologische und selbst
gern, daß die landläufigen und im Grunde vernünftigen Begriffe über das
Erlaubte hier einmal einen Ausnahmefall zuließen. Übrigens rede ich von
mir selber mit aller möglichen psychologischen ,Schläue' und Heiterkeit, —
ich möchte durchaus nicht als Prophet, Unthier und Moral-Scheusal vor die
Menschen hintreten. Auch in diesem Sinne könnte dies Buch gut thun: es
verhütet vielleicht, daß ich mit meinem Gegensatz verwechselt werde."
(KSB 8, Nr. 1137, S. 462, Z. 81-90) Eine „Probe" (S. 462, Z. 77) wolle er mit EH
machen, heißt es in diesem Brief weiter (vgl. NK ÜK EH 1), und zwar vor der
„Umwerthung", wie weit er gehen könne in der Herausforderung von Zensur
und Obrigkeit. Das Präparatorische von EH wird etwa gegenüber Naumann am
06. 11. 1888 betont (KSB 8, Nr. 1139, S. 463).
Hingegen handelt es sich bei dem gerne zitierten Brief an Elisabeth Förster-
N. von „ungefähr Mitte Oktober 1888", bei dem wir es mit dem „ersten briefli-
chen Zeugnis" zu EH zu tun haben sollen (so z. B. in Raoul Richters Nachwort
zur EH-Erstausgabe, Leipzig 1908, 134 und GoA 15, Leipzig 1922, X), schlicht
um eine Fälschung aus der Werkstatt der Schwester. Dort ist u. a. zu lesen:
„Ich schreibe in diesem goldenen Herbst, dem schönsten, den ich je erlebt
habe, einen Rückblick auf mein Leben, nur für mich selbst. Niemand soll es
lesen mit Ausnahme eines gewissen guten Lama's, wenn es über's Meer
kommt, den Bruder zu besuchen. Es ist nichts für deutsches Hornvieh, dessen
Cultur im lieben Vaterland so erstaunlich zunimmt. Ich will das Manuskript
vergraben und verstecken, es mag verschimmeln und wenn wir allesammt
schimmeln, mag es seine Auferstehung feiern." (KGB III 7/3, 1, S. 41 f.) Entgegen
der Suggestion dieser Brieffälschung war EH von Anfang an nicht für den
(familiären) Privatgebrauch, sondern für eine große Öffentlichkeit bestimmt.
N. erweist sich in den brieflichen Zeugnissen als ausgesprochen auskunftsfreu-
dig, was die Entstehung und den Charakter von EH angeht, wobei der Stolz
auf das Werk und auf sich selbst immer stärker hervortritt: „Mein ,Ecce homo.
Wie man wird, was man ist' sprang innerhalb des 15. Oktobers, meines
allergnädigsten Geburtstags und -Herrn, und dem 4. November mit einer anti-
ken Selbstherrlichkeit und guten Laune hervor, daß es mir zu wohlgerathen
scheint, um einen Spaaß dazu machen zu dürfen. Die letzten Partien sind
übrigens bereits in einer Tonweise gesetzt, die den Meistersingern abhanden
gekommen sein muß, ,die Weise des Weitregierenden'... Das Schlußcapitel
hat die unerquickliche Überschrift: Warum ich ein Schicksal bin. Daß dies
nämlich der Fall ist, wird so stark bewiesen, daß man am Schluß vor mir als
,Larve' und ,fühlende Brust' sitzen bleibt..." (N. an Köselitz, 13. 11. 1888, KSB 8,
Nr. 1142, S. 467, Z. 24-35) Etwas weniger euphorisch als im Brief an den Jünger
heißt es gleichentags an den Freund Overbeck: „Letzteres [sc. das Manuskript
von EH], von absoluter Wichtigkeit, giebt einiges Psychologische und selbst