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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0371
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348 Ecce homo. Wie man wird, was man ist

und wie er in bewußter Ausbildung seiner Instinkte ihn frei machte." (Meyer
1913, 597) N. schilderte in EH nach Meyer 1913, 598 seinen Lebensweg als „Tri-
umph[.] der Selbstsucht". Die Auffassung, dass „Ecce homo eines der besten
Bücher Nietzsches" sei, wie Oscar Levy in der Einleitung zur englischen Aus-
gabe des Werkes 1927 vermerkte (Levy 2005, 155), schien freilich auch unter
N.-Enthusiasten lange nicht mehrheitsfähig, da die radikale Unbescheidenheit
des Tones sich in bildungsbürgerlichem Kontext nur schwer rechtfertigen ließ.
„Es stand Nietzsche als dem Verfasser des Antichristen frei, dem Kapitalverbre-
chen des Stolzes zu frönen" (ebd., 156). Erst als die Erhabenheitsdiktion poli-
tisch und gesellschaftlich meinungsbildend wurde, fiel es leichter, sich in EH
auch als Leser wiederzuerkennen: Hieß es in EH Warum ich so klug bin 9
noch, „ich bin der Gegensatz einer heroischen Natur" (294, 33 f.), kommentierte
Alfred Baeumler in seinem N.-Buch eine Notiz Overbecks über Bismarck mit
den Worten: „Es ist dies das Selbstgefühl heroischer Naturen, das eins ist mit
dem Gefühl des Schicksals. Aus dem nämlichen Selbstgefühl und Selbstbe-
wußtsein ist Nietzsches ,Ecce homo' entsprungen." (Baeumler 1931, 19) Mehr
Sinn für die leisen Töne hat Ernst Bertram in seinem 1918 erstmals erschiene-
nen Nietzsche. Versuch einer Mythologie: „Gewisse Wendungen des Ecce homo,
der letzten Briefe klingen zuweilen so seltsam auf, als rede hier der Meister
des ersten Ranges als Meister des eigenen Endes, über das sein Wille Herr
sei" (Bertram 1922, 277). Die Nüchternheit, mit der 1923 in der 12. Auflage von
Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie auf EH Bezug genommen
wird, ist demgegenüber recht ungewöhnlich: „Den besten Kommentar zu den
Werken Nietzsches und das wichtigste Materialstück zu seiner Entwicklungsge-
schichte neben ihnen bildet seine Selbstbiographie Ecce homo" (Ueberweg
1923, 4, 546).
Auffälligerweise fehlen in den großen philosophischen N.-Büchern von Jas-
pers und Heidegger bis zu Löwith längere Auseinandersetzungen mit EH. Erst
Walter Kaufmann beklagte in seiner in den USA einflussreichen, 1950 erstmals
erschienenen N.-Darstellung diese geringe Berücksichtigung von EH in der phi-
losophischen N.-Literatur (Kaufmann 1982, 475) und gab zu Protokoll: „Ecce
homo war Nietzsches letztes Werk und in vielen Hinsichten der Höhepunkt
seiner Philosophie." (Ebd., 474) Er sah in EH keinerlei Abkehr vom Geist der
„mittleren Periode" von N.s Schaffen: „Immer noch betrachtet er sich selbst
als Erben der Aufklärung: zu Ende des Ecce homo zitiert er Voltaires ,Ecrasez
l'infame!"' (Ebd.).
Einen produktiv philosophischen Gebrauch von EH machte dann Jacques
Derrida in seinen Otobiographies, einem Konferenztext von 1976, in dem EH der
amerikanischen Unabhängigskeitserklärung gegenübergestellt wird. N.s Text
dokumentiert für Derrida ein Wechselspiel von Masken und Eigennamen im
 
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