Stellenkommentar EH klug, KSA 6, S. 278-279 395
diätetischen Regeln, nach denen er laut EH Warum ich so klug bin 1 zu leben
angibt, ein transformiertes Gebot der Mäßigkeit.
N. hat sich mit Fragen der Ernährung aus selbsttherapeutischem Interesse
schon früh beschäftigt; Eingang gefunden haben diese Überlegungen in die
Schriften der mittleren Schaffensjahre — bezeichnenderweise fehlten sie aber
in den an großen Antworten auf traditionelle, große Fragen orientierten Früh-
werken GT und UB, die scheinbar so Triviales wie Ernährung noch mit Still-
schweigen übergingen. FW 7, KSA 3, 379, 6 f. fragt demgegenüber explizit nach
einer „Philosophie der Ernährung". Die Prominenz, die das Thema in EH
erhält, hängt unmittelbar daran, dass sich N. nach langer Leidenszeit genesen
fühlte und er damit vom (scheinbaren) Erfolg seiner diätetischen Maßnahmen
in eigener Sache meinte ausgehen zu können.
278, 7 f. Es ist mir gänzlich entgangen, in wiefern ich „sündhaft" sein sollte.]
Sünde, namentlich Erbsünde, erscheint N. vielmehr als ein Mittel des Christen-
tums, die Menschen gefügig zu machen (vgl. AC 5, KSA 6, 171): Das Gefühl,
„sündhaft" zu sein, ist für N. nicht natürlicherweise gegeben, sondern das
Resultat einer priesterlichen Domestizierung des Menschen (vgl. GD Die „Ver-
besserer" der Menschheit 2, KSA 6, 99). Noch vor dem „üppige[n], unmäßige[n]
Leben" hatte Cornaro in seiner Diätetik übrigens „das Abfallen von der rechten
Frömmigkeit und dem rechten Glauben" als Grundübel der Gegenwart ange-
prangert (Cornaro o. J. [1881], 12).
278, 8-16 Insgleichen fehlt mir ein zuverlässiges Kriterium dafür, was ein
Gewissensbiss ist: nach dem, was man darüber h ört, scheint mir ein Gewissens-
biss nichts Achtbares... Ich möchte nicht eine Handlung hinterdrein in Stich
lassen, ich würde vorziehn, den schlimmen Ausgang, die Folgen grundsätzlich
aus der Werthfrage wegzulassen. Man verliert beim schlimmen Ausgang gar zu
leicht den richtigen Blick für Das, was man that: ein Gewissensbiss scheint
mir eine Art „böser Blick".] Zum „bösen Blick" vgl. NK KSA 6, 115, 10; zum
„Gewissensbiss" vgl. NK KSA 6, 60, 14-16. In GD Sprüche und Pfeile 10 wird
der hier autogenealogisch gefasste Gedanke zum allgemeinen Imperativ.
278, 18-20 „Gott", „Unsterblichkeit der Seele", „Erlösung", „Jenseits" lauter
Begriffe, denen ich keine Aufmerksamkeit, auch keine Zeit geschenkt habe, selbst
als Kind nicht] Frühere Zeugnisse zu N.s Jugend sprechen eine andere Sprache,
vgl. die ausführlichen Darstellungen bei Schmidt 1991 und Pernet 1989. Noch
in einer autobiographischen Aufzeichnung in NL 1878, KSA 8, 28[7], 505 ist
vermerkt: „Als Kind Gott im Glanze gesehn."
278, 23-279, 3 Ich bin zu neugierig, zu fragwürdig, zu übermüthig, um mir
eine faustgrobe Antwort gefallen zu lassen. Gott ist eine faustgrobe Antwort,
diätetischen Regeln, nach denen er laut EH Warum ich so klug bin 1 zu leben
angibt, ein transformiertes Gebot der Mäßigkeit.
N. hat sich mit Fragen der Ernährung aus selbsttherapeutischem Interesse
schon früh beschäftigt; Eingang gefunden haben diese Überlegungen in die
Schriften der mittleren Schaffensjahre — bezeichnenderweise fehlten sie aber
in den an großen Antworten auf traditionelle, große Fragen orientierten Früh-
werken GT und UB, die scheinbar so Triviales wie Ernährung noch mit Still-
schweigen übergingen. FW 7, KSA 3, 379, 6 f. fragt demgegenüber explizit nach
einer „Philosophie der Ernährung". Die Prominenz, die das Thema in EH
erhält, hängt unmittelbar daran, dass sich N. nach langer Leidenszeit genesen
fühlte und er damit vom (scheinbaren) Erfolg seiner diätetischen Maßnahmen
in eigener Sache meinte ausgehen zu können.
278, 7 f. Es ist mir gänzlich entgangen, in wiefern ich „sündhaft" sein sollte.]
Sünde, namentlich Erbsünde, erscheint N. vielmehr als ein Mittel des Christen-
tums, die Menschen gefügig zu machen (vgl. AC 5, KSA 6, 171): Das Gefühl,
„sündhaft" zu sein, ist für N. nicht natürlicherweise gegeben, sondern das
Resultat einer priesterlichen Domestizierung des Menschen (vgl. GD Die „Ver-
besserer" der Menschheit 2, KSA 6, 99). Noch vor dem „üppige[n], unmäßige[n]
Leben" hatte Cornaro in seiner Diätetik übrigens „das Abfallen von der rechten
Frömmigkeit und dem rechten Glauben" als Grundübel der Gegenwart ange-
prangert (Cornaro o. J. [1881], 12).
278, 8-16 Insgleichen fehlt mir ein zuverlässiges Kriterium dafür, was ein
Gewissensbiss ist: nach dem, was man darüber h ört, scheint mir ein Gewissens-
biss nichts Achtbares... Ich möchte nicht eine Handlung hinterdrein in Stich
lassen, ich würde vorziehn, den schlimmen Ausgang, die Folgen grundsätzlich
aus der Werthfrage wegzulassen. Man verliert beim schlimmen Ausgang gar zu
leicht den richtigen Blick für Das, was man that: ein Gewissensbiss scheint
mir eine Art „böser Blick".] Zum „bösen Blick" vgl. NK KSA 6, 115, 10; zum
„Gewissensbiss" vgl. NK KSA 6, 60, 14-16. In GD Sprüche und Pfeile 10 wird
der hier autogenealogisch gefasste Gedanke zum allgemeinen Imperativ.
278, 18-20 „Gott", „Unsterblichkeit der Seele", „Erlösung", „Jenseits" lauter
Begriffe, denen ich keine Aufmerksamkeit, auch keine Zeit geschenkt habe, selbst
als Kind nicht] Frühere Zeugnisse zu N.s Jugend sprechen eine andere Sprache,
vgl. die ausführlichen Darstellungen bei Schmidt 1991 und Pernet 1989. Noch
in einer autobiographischen Aufzeichnung in NL 1878, KSA 8, 28[7], 505 ist
vermerkt: „Als Kind Gott im Glanze gesehn."
278, 23-279, 3 Ich bin zu neugierig, zu fragwürdig, zu übermüthig, um mir
eine faustgrobe Antwort gefallen zu lassen. Gott ist eine faustgrobe Antwort,