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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0476
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Stellenkommentar EH Bücher, KSA 6, S. 299-300 453

im Munde eines Zarathustra, des Vernichters der Moral, ein sehr nachdenkli-
ches Wort wird, ist fast überall mit voller Unschuld im Sinn derjenigen Werthe
verstanden worden, deren Gegensatz in der Figur Zarathustra's zur Erscheinung
gebracht worden ist, will sagen als „idealistischer" Typus einer höheren Art
Mensch, halb „Heiliger", halb „Genie"...] In diesem Sinne schreibt N. an seine
alte Freundin Malwida von Meysenbug, der bekennenden „Idealistin" und Ver-
fasserin der Memoiren einer Idealistin (1876, NPB 382), am 20. 10. 1888: „Ich
sende Ihnen seit Jahren meine Schriften zu, damit Sie mir endlich einmal,
rechtschaffen und naiv, erklären ,ich perhorrescire jedes Wort'. Und Sie hätten
ein Recht dazu. Denn Sie sind ,Idealistin' — und ich behandle den Idealismus
als eine Instinkt gewordne Unwahrhaftigkeit, als ein Nicht-sehn-wollen der
Realität um jeden Preis: jeder Satz meiner Schriften enthält die Verach-
tung des Idealismus. [...] Sie haben sich — Etwas, das ich nie verzeihe — aus
meinem Begriff ,Übermensch' wieder einen ,höheren Schwindel' zurechtge-
macht, Etwas aus der Nachbarschaft von Sybillen und Propheten: während
jeder ernsthafte Leser meiner Schriften wissen muß, daß ein Typus
Mensch, der mir nicht Ekel machen soll, gerade der Gegensatz-Typus zu den
Ideal-Götzen von Ehedem ist, einem Typus Cesare Borgia hundert Mal ähnli-
cher als einem Christus." (KSB 8, Nr. 1135, S. 457 f., Z. 7-30) Vgl. auch NK KSA 6,
17, 17-20.
Im Anschluss an 300, 16-25 versteht Müller-Lauter 1971, 128 den Übermen-
schen als ein Wesen, das „die Steigerung der Gegensätzlichkeit aller Strebun-
gen ins Extrem" vollziehe und dem zugleich „ihr Zusammenfügen unter dem
Joch eines sich machtvoll durchsetzenden Ideals" gelinge. Der Übermensch sei
jedoch auch fortwährend dazu bereit, das jeweils gewählte Ideal aufzugeben
„zugunsten eines anderen, bisher unterjochten, [womit] den Verschiebungen
der Machtkonstellationen im Ganzen der einzigen Welt des Werdens entspro-
chen wird" (ebd.). Allein in der Vereinigung dieser Momente ist der Über-
mensch nach Müller-Lauter als derjenige Menschentypus zu begreifen, der
dem Nihilismus entgegentreten kann. Steinbuch 1994 baut seine Interpretation
von EH insgesamt auf der These auf, N. habe übermenschliche Abundanz in
sich gefunden, die Dekadenz überwunden und sich selbst zum Modell eines
Übermenschen erklärt.
300, 25 f. Andres gelehrtes Hornvieh hat mich seinethalben des Darwinismus
verdächtigt] Benz 1961, 114-128 nimmt diese Stelle zum Anlass, das idealisti-
sche, das darwinistische und das heroistische Missverständnis in der Rezep-
tion von N.s Übermensch zu beleuchten. „Das Bild des Übermenschen
erscheint bei Nietzsche als die schlechthinnige Antithese zu dem Bild des zeit-
genössischen, durch die christliche Kultur geprägten Menschen." (Ebd., 133)
N.s eigene Darwin-Kritik z. B. in GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 14, KSA 6,
 
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