Stellenkommentar EH Bücher, KSA 6, S. 305 471
305, 20 f. Oder der Satz „Lust und Unlust sind Gegensätze"...] Vgl. z. B. Höffding
1887, 61 f.: „Die Synthese ist die Grundform alles Bewusstseins. Aber die
Thätigkeit, die sich in der Synthese Ausdruck gibt, ist in /62/ jedem einzelnen
Fall auf ein bestimmtes Ziel gerichtet. [Marginalie N.s am Rand: „gut!"] Dieses
Ziel kann mehr oder weniger bewusst sein; die auf dasselbe gerichtete Thätig-
keit wird aber mit einem Gefühl von Lust, die Hemmung dieser Thätigkeit mit
einem Gefühl von Unlust verbunden sein. Die Fähigkeit, Lust und
Unlust zu fühlen, setzt ebensowohl wie die zusammenfassende Thätigkeit
eine Einheit, einen innern Mittelpunkt voraus, zu welchem die wechselnde
Mannigfaltigkeit der Bewusstseinselemente in Beziehung gebracht wird." (Von
N. am Rand markiert; hier Kursiviertes von ihm unterstrichen. Zu „Synthese"
führt ein Strich, an dessen Ende N. am unteren Blattrand notiert: „ein Herr
werdender Willens-Prozess, der [-] Prozesse einverleibt [?]". Beim Neu-
binden des Buches wurde N.s Notiz angeschnitten, daher rührt die Unlesbar-
keit von vermutlich zwei Worten).
305, 21 f. Die Circe der Menschheit, die Moral, hat alle psychologica in Grund
und Boden gefälscht] Vgl. NK KSA 6, 20, 34-21, 1. Die Zauberin Kirke, auf deren
Insel Odysseus notlanden musste, verwandelte bekanntlich dessen Gefährten
in Schweine und hielt ihn selbst ein Jahr lang fest, nicht ohne ihm wichtige
Hilfe für den Abstieg in die Unterwelt zu leisten (Homer: Odyssee X). Aufgrund
ihrer Verführungs- und Verwandlungskünste eignet sie sich für N. als Personifi-
kation der Moral in der Menschheitsgeschichte. Als solche lässt N. sie etwa
auch in M Vorrede 3, KSA 3, 13, 13-17 auftreten: „Die Moral hat sich eben von
jeher, so lange auf Erden geredet und überredet worden ist, als die grösste
Meisterin der Verführung bewiesen — und, was uns Philosophen angeht, als
die eigentliche Circe der Philosophen." In EH Warum ich ein Schicksal
bin 6, KSA 6, 371, 3 f. wird die in Frage stehende Moral noch spezifiziert: „Die
christliche Moral war bisher die Circe aller Denker, — sie standen in ihrem
Dienst." (Ähnlich EH Warum ich ein Schicksal bin 7, KSA 6, 372, 2-4).
Dass N. bei Kirke direkt jene Tiere vor Augen hat, in welche die armen
Gefährten des Odysseus verwandelt wurden, erhellt aus NW Wagner als Apos-
tel der Keuschheit, KSA 6, 429, 28-430, 1: „Andrerseits versteht es sich nur zu
gut, dass, wenn einmal die verunglückten Thiere der Circe dazu gebracht wer-
den, die Keuschheit anzubeten, sie in ihr nur ihren Gegensatz sehn und
anbeten werden — oh mit was für einem tragischen Gegrunz und Eifer!" N.
denkt eben an „die Schweine der Circe" (NL 1882, KSA 10, 3[1]217, 78). Zur
Semantik der Schweine siehe NK KSA 6, 429, 28-430, 5.
305, 23 f. bis zu jenem schauderhaften Unsinn, dass die Liebe etwas „Unegoisti-
sches" sein soll...] Vgl. M 145, KSA 3, 137, 4-9: „,Unegoistisch!' — Jener ist
305, 20 f. Oder der Satz „Lust und Unlust sind Gegensätze"...] Vgl. z. B. Höffding
1887, 61 f.: „Die Synthese ist die Grundform alles Bewusstseins. Aber die
Thätigkeit, die sich in der Synthese Ausdruck gibt, ist in /62/ jedem einzelnen
Fall auf ein bestimmtes Ziel gerichtet. [Marginalie N.s am Rand: „gut!"] Dieses
Ziel kann mehr oder weniger bewusst sein; die auf dasselbe gerichtete Thätig-
keit wird aber mit einem Gefühl von Lust, die Hemmung dieser Thätigkeit mit
einem Gefühl von Unlust verbunden sein. Die Fähigkeit, Lust und
Unlust zu fühlen, setzt ebensowohl wie die zusammenfassende Thätigkeit
eine Einheit, einen innern Mittelpunkt voraus, zu welchem die wechselnde
Mannigfaltigkeit der Bewusstseinselemente in Beziehung gebracht wird." (Von
N. am Rand markiert; hier Kursiviertes von ihm unterstrichen. Zu „Synthese"
führt ein Strich, an dessen Ende N. am unteren Blattrand notiert: „ein Herr
werdender Willens-Prozess, der [-] Prozesse einverleibt [?]". Beim Neu-
binden des Buches wurde N.s Notiz angeschnitten, daher rührt die Unlesbar-
keit von vermutlich zwei Worten).
305, 21 f. Die Circe der Menschheit, die Moral, hat alle psychologica in Grund
und Boden gefälscht] Vgl. NK KSA 6, 20, 34-21, 1. Die Zauberin Kirke, auf deren
Insel Odysseus notlanden musste, verwandelte bekanntlich dessen Gefährten
in Schweine und hielt ihn selbst ein Jahr lang fest, nicht ohne ihm wichtige
Hilfe für den Abstieg in die Unterwelt zu leisten (Homer: Odyssee X). Aufgrund
ihrer Verführungs- und Verwandlungskünste eignet sie sich für N. als Personifi-
kation der Moral in der Menschheitsgeschichte. Als solche lässt N. sie etwa
auch in M Vorrede 3, KSA 3, 13, 13-17 auftreten: „Die Moral hat sich eben von
jeher, so lange auf Erden geredet und überredet worden ist, als die grösste
Meisterin der Verführung bewiesen — und, was uns Philosophen angeht, als
die eigentliche Circe der Philosophen." In EH Warum ich ein Schicksal
bin 6, KSA 6, 371, 3 f. wird die in Frage stehende Moral noch spezifiziert: „Die
christliche Moral war bisher die Circe aller Denker, — sie standen in ihrem
Dienst." (Ähnlich EH Warum ich ein Schicksal bin 7, KSA 6, 372, 2-4).
Dass N. bei Kirke direkt jene Tiere vor Augen hat, in welche die armen
Gefährten des Odysseus verwandelt wurden, erhellt aus NW Wagner als Apos-
tel der Keuschheit, KSA 6, 429, 28-430, 1: „Andrerseits versteht es sich nur zu
gut, dass, wenn einmal die verunglückten Thiere der Circe dazu gebracht wer-
den, die Keuschheit anzubeten, sie in ihr nur ihren Gegensatz sehn und
anbeten werden — oh mit was für einem tragischen Gegrunz und Eifer!" N.
denkt eben an „die Schweine der Circe" (NL 1882, KSA 10, 3[1]217, 78). Zur
Semantik der Schweine siehe NK KSA 6, 429, 28-430, 5.
305, 23 f. bis zu jenem schauderhaften Unsinn, dass die Liebe etwas „Unegoisti-
sches" sein soll...] Vgl. M 145, KSA 3, 137, 4-9: „,Unegoistisch!' — Jener ist