Stellenkommentar EH UB, KSA 6, S. 318 499
deutschen Leidenschaft in geistigen Dingen.] Karl Hillebrands Besprechung
erschien unter dem Titel „Nietzsche gegen Strauß" in der Augsburger Allgemei-
nen Zeitung (Nr. 265 f.) am 22. und 23. 09. 1873 (Auszüge bei Kr I, 31), 1875
wurde sie dann unter der Überschrift „Einiges über den Verfall der deutschen
Sprache und der deutschen Gesinnung" in überarbeiteter Form wieder abge-
druckt im zweiten Band von Hillebrands Zeiten, Völker und Menschen, der den
Haupttitel Wälsches und Deutsches trägt (Hillebrand 1875, 2, 291-310). Hille-
brand deutete UB I DS „als das erste Anzeichen einer Rückkehr zum deutschen
Idealismus wie ihn unsere Großeltern angestrebt, einer Reaction gegen die
platte positivistische Auffassungsweise die seit einem oder zwei Jahrzehnten
sich bei uns vordrängt, als ein kühnes Wiederaufpflanzen des alten guten Ban-
ners deutscher Humanität gegen die Beschränkung nationaler Selbstbewunde-
rung, als einen Mahnruf über unseren materiellen Erfolgen nicht unsere geisti-
gen Pflichten zu vergessen und, wie die Gründer unserer Cultur, es uns
angelegen sein zu lassen der Nation, bei aller Geistesfreiheit, das religiöse
Gefühl und den speculativen Sinn zu bewahren, ihr, ohne sie der Convention
gefangen zu geben, schönere Formen des Lebens zu schaffen" (Hillebrand 1875,
2, 293).
Der „Idealismus", der „speculative Sinn", gar das „religiöse Gefühl" kom-
men in N.s tendenziöser Wiedergabe von Hillebrands Besprechung nicht mehr
vor; er deutet sie zu einem Fanal seiner künftigen Bedeutung um (vgl. NK
KSA 6, 105, 6-9). Er verschweigt auch Hillebrands kritische Einwände: „So z. B.
ist es durchaus verfehlt das Wesen einer Cultur allein in den Styl zu setzen."
(Hillebrand 1875, 2, 302) „Ein anderes möchten wir an der kleinen Schrift
rügen. Nietzsche überschopenhauert zuweilen Schopenhauer, man erlaube uns
den Anglicismus." (Ebd., 303).
318, 19-31 Hillebrand war voll hoher Auszeichnung für die Form der Schrift, für
ihren reifen Geschmack, für ihren vollkommnen Takt in der Unterscheidung von
Person und Sache: er zeichnete sie als die beste polemische Schrift aus, die
deutsch geschrieben sei, — in der gerade für Deutsche so gefährlichen, so wider-
rathbaren Kunst der Polemik. Unbedingt jasagend, mich sogar in dem verschär-
fend, was ich über die Sprach-Verlumpung in Deutschland zu sagen gewagt hatte
(— heute spielen sie die Puristen und können keinen Satz mehr bauen —), in
gleicher Verachtung gegen die „ersten Schriftsteller" dieser Nation, endete er
damit, seine Bewunderung für meinen Muth auszudrücken — jenen „höchsten
Muth, der gerade die Lieblinge eines Volks auf die Anklagebank bringt"...] Hille-
brand begann seine Rezension in der Buchfassung mit der Feststellung, dass
bisher die Polemik gerade „keine Zierde unseres Vaterlandes" gewesen sei (Hil-
lebrand 1875, 2, 293); ebenso, dass N. Maß bewiesen habe: „so heftig der Ton,
er ist nicht gereizt, und selten artet der Zorn in Rohheit, der Spott in
deutschen Leidenschaft in geistigen Dingen.] Karl Hillebrands Besprechung
erschien unter dem Titel „Nietzsche gegen Strauß" in der Augsburger Allgemei-
nen Zeitung (Nr. 265 f.) am 22. und 23. 09. 1873 (Auszüge bei Kr I, 31), 1875
wurde sie dann unter der Überschrift „Einiges über den Verfall der deutschen
Sprache und der deutschen Gesinnung" in überarbeiteter Form wieder abge-
druckt im zweiten Band von Hillebrands Zeiten, Völker und Menschen, der den
Haupttitel Wälsches und Deutsches trägt (Hillebrand 1875, 2, 291-310). Hille-
brand deutete UB I DS „als das erste Anzeichen einer Rückkehr zum deutschen
Idealismus wie ihn unsere Großeltern angestrebt, einer Reaction gegen die
platte positivistische Auffassungsweise die seit einem oder zwei Jahrzehnten
sich bei uns vordrängt, als ein kühnes Wiederaufpflanzen des alten guten Ban-
ners deutscher Humanität gegen die Beschränkung nationaler Selbstbewunde-
rung, als einen Mahnruf über unseren materiellen Erfolgen nicht unsere geisti-
gen Pflichten zu vergessen und, wie die Gründer unserer Cultur, es uns
angelegen sein zu lassen der Nation, bei aller Geistesfreiheit, das religiöse
Gefühl und den speculativen Sinn zu bewahren, ihr, ohne sie der Convention
gefangen zu geben, schönere Formen des Lebens zu schaffen" (Hillebrand 1875,
2, 293).
Der „Idealismus", der „speculative Sinn", gar das „religiöse Gefühl" kom-
men in N.s tendenziöser Wiedergabe von Hillebrands Besprechung nicht mehr
vor; er deutet sie zu einem Fanal seiner künftigen Bedeutung um (vgl. NK
KSA 6, 105, 6-9). Er verschweigt auch Hillebrands kritische Einwände: „So z. B.
ist es durchaus verfehlt das Wesen einer Cultur allein in den Styl zu setzen."
(Hillebrand 1875, 2, 302) „Ein anderes möchten wir an der kleinen Schrift
rügen. Nietzsche überschopenhauert zuweilen Schopenhauer, man erlaube uns
den Anglicismus." (Ebd., 303).
318, 19-31 Hillebrand war voll hoher Auszeichnung für die Form der Schrift, für
ihren reifen Geschmack, für ihren vollkommnen Takt in der Unterscheidung von
Person und Sache: er zeichnete sie als die beste polemische Schrift aus, die
deutsch geschrieben sei, — in der gerade für Deutsche so gefährlichen, so wider-
rathbaren Kunst der Polemik. Unbedingt jasagend, mich sogar in dem verschär-
fend, was ich über die Sprach-Verlumpung in Deutschland zu sagen gewagt hatte
(— heute spielen sie die Puristen und können keinen Satz mehr bauen —), in
gleicher Verachtung gegen die „ersten Schriftsteller" dieser Nation, endete er
damit, seine Bewunderung für meinen Muth auszudrücken — jenen „höchsten
Muth, der gerade die Lieblinge eines Volks auf die Anklagebank bringt"...] Hille-
brand begann seine Rezension in der Buchfassung mit der Feststellung, dass
bisher die Polemik gerade „keine Zierde unseres Vaterlandes" gewesen sei (Hil-
lebrand 1875, 2, 293); ebenso, dass N. Maß bewiesen habe: „so heftig der Ton,
er ist nicht gereizt, und selten artet der Zorn in Rohheit, der Spott in