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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0536
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Stellenkommentar EH MAM, KSA 6, S. 322-323 513

'Europas' beieinander, und jeder beliebige Fürst gieng in Wagner's Haus aus
und ein, wie als ob es sich um einen Sport mehr handelte. Und im Grunde
war es auch nicht mehr. Man hatte einen Kunst-Vorwand mehr zu den alten
Vorwänden hinzuentdeckt, eine große Oper mit Hindernissen; man fand
in der durch ihre geheime Sexualität überredenden Musik Wagners ein Binde-
mittel für eine Gesellschaft, in der Jedermann seinen plaisirs nachgieng. Der
Rest und, wenn man will, auch die Unschuld der Sache, ihre ,Idealisten'
waren die Idioten, die Nohl, Pohl, Kohl — letzterer, wie bekannt, der genius
loci in Bayreuth —, die eigentlichen Wagnerianer von Rasse, eine gott- und
geistverlassene Bande, die Alles gläubig hinunterfraß, was der Meister ,abfal-
len' ließ. Die Musik Wagner’s, man weiß es ja, besteht aus ,Abfällen'. — Und
wie viel läßt Wagner ,abfallen'!... Die Aufführung selbst war wenig werth; ich
langweilte mich aschgrau bei dieser vollkommen mystisch gewordenen Musik,
die, durch eine absurde Tieferlegung des Orchesters, Einem bloß noch als har-
monischer, bisweilen auch unharmonischer Nebel zum Bewußtsein kam. Was
hier ,Rückkehr zur Natur' ist, will sagen, die Durchsichtigkeit, Durchhör-
barkeit des contrapunktischen Gewebes, die Verwendung jedes einzelnen
Instruments in seiner spezifischen Sprache Farbe, in der an ihm naturgemäßen
und wohlthuendsten Sprache (Wagner treibt Nothzucht mit allen Instrumen-
ten —), der sparsamste Gebrauch der Instrumente überhaupt, die Delika-
tesse an Stelle dumpfer und unterirdischer Instinkt-Reizung, das lernte ich
später an der Instrumentation Bizet's begreifen. — Genug, ich reiste mitten
drin für ein paar Wochen ab, sehr plötzlich, mich bei Wagner bloß mit einem
fatalistischen Telegramm entschuldigend. In einem tief in Wäldern verborgnen
kleinen Ort des Böhmerwalds, Klingenbrunn, trug ich meine Melancholie wie
eine Krankheit mit mir herum — und schrieb von Zeit zu Zeit, unter dem
Gesamttitel ,die Pflugschar' einen Satz in mein Taschenbuch, lauter harte
Psychologica, die sich vielleicht in ,Menschliches, Allzumenschliches' noch
wiederfinden lassen." (KSA 14, 492 f.).
323, 15-17 Die Anfänge dieses Buchs gehören mitten in die Wochen der ersten
Bayreuther Festspiele hinein; eine tiefe Fremdheit gegen Alles, was mich dort
umgab, ist eine seiner Voraussetzungen.] Am 22. 07. 1876, wenige Wochen nach
Erscheinen seiner Vierten Unzeitgemässen Betrachtung, reiste N. zur Eröffnung
der Wagner-Festspiele nach Bayreuth. Vor Beginn des ersten öffentlichen Auf-
führungszyklus wohnte er einigen Proben bei, äußerte aber schon bald sein
Missbehagen über das Erlebte (N. an Elisabeth N., 25. 07. 1876, KSB 5, Nr. 544,
S. 178 f.). Von wachsendem Unwohlsein und gesundheitlichen Beschwerden
geplagt, verschenkte N. seine Opernkarten und reiste noch vor der offiziellen
Eröffnung der Festspiele (13. August) fluchtartig ab. Vom 4. bis 12. August hielt
 
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