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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0624
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Stellenkommentar EH WA, KSA 6, S. 361 601

361, 18-22 Und wenn man nicht einmal reinlich ist, wie sollte man Tiefe
haben? Man kommt beim Deutschen, beinahe wie beim Weibe, niemals auf den
Grund, er hat keinen: das ist Alles. Aber damit ist man noch nicht einmal
flach.] Dass man das Weib für tief halte, weil man ihm nicht auf den Grund
komme, es aber nicht einmal flach sei, hat N. in GD Sprüche und Pfeile 27,
KSA 6, 63 behauptet. Dabei handelt es sich um eine Weisheit, die sich N.,
natürlich ohne entsprechenden Nachweis, aus dem Journal der Brüder Gon-
court abgeschrieben hat (Goncourt 1887, 1, 325), vgl. NK KSA 6, 63, 11 f.
361, 27-29 In diesem Augenblick zum Beispiel nennt es der deutsche Kaiser
seine „christliche Pflicht", die Sklaven in Afrika zu befreien] Das tat Wilhelm II.
in seiner Rede zur Eröffnung des Reichstages am 22. November 1888, von der
N. am 23. November 1888 im Journal des Debats gelesen haben dürfte, vgl. NK
KSA 6, 427, 7-12. Die christliche Selbstinterpretation des jungen Kaisers hat N.,
wie aus AC 38 hervorgeht, tief empört und für ein erbärmliches Selbstmissver-
ständnis gehalten (dazu ausführlich NK KSA 6, 211, 6-8).
361, 31-362, 3 Selbst der Begriff dafür, was tief an einem Buch ist, geht ihnen
ab. Ich habe Gelehrte kennen gelernt, die Kant für tief hielten; am preussischen
Hofe, fürchte ich, hält man Herrn von Treitschke für tief. Und wenn ich Stendhal
gelegentlich als tiefen Psychologen rühme, ist es mir mit deutschen Universitäts-
professoren begegnet, dass sie mich den Namen buchstabieren liessen...] Die
Mappe XVI 3 enthält folgende Vorstufe: „Aber ich will dreißig französische
aufzählen. — Der Deutsche weiß selbst nicht einmal, was Tiefe ist: ich habe
Gelehrte kennengelernt, die Kant für tief hielten... In Bayreuth hält man Wag-
ner für tief... Was tief in Deutschland heißt, ist genau jene Unsauberkeit gegen
sich, die ich auf dem Grunde jedes Deutschen wahrnehme. ,Unsauberkeit' ist
selbst ein vorsichtiger Ausdruck dafür... eine Höflichkeit... sie halten die Fran-
zosen für flach — — —" (KSA 14, 503). Im Druckmanuskript findet sich
ursprünglich anstelle von „am preussischen Hofe" der Ausdruck „in Bayreuth"
und anstelle von „Herrn von Treitschke" der Name „Wagner" (KSA 14, 503).
Zu den „Gelehrten", „die Kant für tief hielten", gehörte namentlich sein
Studienfreund Heinrich Romundt. Er sandte N. auch nach dem Abebben ihrer
freundschaftlichen Verbundenheit sein philosophisches Schrifttum zu, das
sich vornehmlich mit Kant auseinandersetzte und diesen als großen Erneuerer
der Philosophie gegen die nachgeborenen, idealistischen Philosophen vertei-
digte. In Romundts Grundlegung zur Reform der Philosophie konnte N. sich
beispielsweise über „Kants tief begründete, wahre und wohlthätige Unterschei-
dungen" unterrichten (Romundt 1885b, 100) oder sich belehren lassen, dass
„Kant zuerst [...] die Menschheit an die tief verborgene Quelle in der menschli-
chen Vernunft, aus der sowohl die Metaphysiker wie ihre Gegner schöpften,
geführt" habe (ebd., 102).
 
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