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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0637
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614 Ecce homo. Wie man wird, was man ist

366, 1-3 Ich erst habe die Wahrheit entdeckt, dadurch dass ich zuerst die
Lüge als Lüge empfand — roch... Mein Genie ist in meinen Nüstern...] Zu N.s
Präferenz für Geruchsmetaphorik siehe NK KSA 6, 75, 26-76, 1 u. 145, 28 f. Diese
Präferenz unterläuft bewusst die in der abendländischen Geistesgeschichte für
Erkenntnis dominierende optische Metaphorik (,man sieht die Wahrheit').
366, 5 f. Ich bin ein froher Botschafter, wie es keinen gab] Über Jesu
„Evangelium", seine „frohe Botschaft" sprach N. ausdrücklich in AC 29, 200,
4-7. Zu diesem frohen Botschafter tritt er im Gestus der Überbietung hier expli-
zit in Konkurrenz.
366, 8 von mir an giebt es wieder Hoffnungen] N. übernimmt da eine Huldi-
gung, die ihm Köselitz in seinem Brief vom 25. 10. 1888 im Blick auf GD darge-
bracht hat: „Erst von Ihnen aus giebt es wieder Hoffnungen, Aufgaben, vorzu-
schreibende Wege der Cultur; man versteht nunmehr, weshalb Sie, als der
gesundeste Mensch, in der Zeit, da Sie mit der umgebenden Welt noch in
Zusammenhang waren, krank sein mussten." (KGB III 6, Nr. 594, S. 337) N.
hat diesen hymnischen Brief in EH noch weiter ausgebeutet, siehe NK 355, 3-
6 u. 302, 22.
366, 12 eine Versetzung von Berg und Thal] Vgl. Za II Die stillste Stunde, wo
Zarathustra von einem Traum erzählt: „Da sprach es wieder ohne Stimme zu
mir: ,0h Zarathustra, wer Berge zu versetzen hat, der versetzt auch Thäler und
Niederungen.'" (KSA 4, 188, 25-27) Es handelt sich um eine Anspielung auf 1.
Korinther 13, 2: „Und wenn ich weissagen könnte, und wüßte alle Geheimnisse,
und alle Erkenntniß, und hätte allen Glauben, also, daß ich Berge versetzt,
und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts." Zur bergeversetzenden Wirkung
des Glaubens ließ sich Jesus in Matthäus 17, 20 vernehmen.
366, 13-16 Der Begriff Politik ist dann gänzlich in einen Geisterkrieg aufgegan-
gen, alle Machtgebilde der alten Gesellschaft sind in die Luft gesprengt — sie
ruhen allesamt auf der Lüge: es wird Kriege geben, wie es noch keine auf Erden
gegeben hat.] Stellen wie diese haben namentlich in der englischsprachigen
N.-Diskussion zur Frage Anlass gegeben, ob N.s politische Vorstellungen inko-
härent geblieben seien (so z. B. Williams 1993, 10 f.) oder ob er nicht vielmehr
doch eine sehr konkrete politisch-elitistische Vision verfolgt habe (Drochon
2010). Jedenfalls erwecken kriegsproklamatorische Stellen wie 366, 13-16 zwar
den Eindruck eines praktisch-politischen Umgestaltungswillens. Aber befragt
man N.s Spätschriften danach, wie eine immoralistische Gesellschaft und im-
moralistische Politik sich gestalten sollen, bleiben die Antworten entweder im
Ungefähren oder sie greifen auf eine Vergangenheit zurück — das Gesetzbuch
des Manu (vgl. z. B. NK KSA 6, 239, 32-240, 3) —, die schwerlich als normativ
 
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