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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0640
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Stellenkommentar EH Schicksal, KSA 6, S. 366-367 617

ging es den Eräniern über Alles die Wahrheit zu sprechen und ihr Sagenschatz
enthält Mythen, deren Moral in der Macht der aufrichtigen Sprache gipfelt; der
gegenüber der Schlechte von innerlicher Ohnmacht befallen wird. Eine solche
Moral musste naturgemäss eine vortheilhafte Charakterbildung hervorbringen,
und so konnten schon die Alten von den Persern einstimmig berichten: Wohl-
anständigkeit im Reden, Wahrheitsliebe und Rechtlichkeit mit strengem Wort-
halten seien hervorstechende Züge des persischen Nationalcharakters gewe-
sen." (Hellwald 1874, 129-131; ähnlich in Hellwald 1876, 1, 169-171).
Für N.s Zarathustra-Adaption ist Hellwalds Culturgeschichte (vgl. die
Erwähnung in N.s Brief an Overbeck vom 08. 07. 1881, KSB 6, Nr. 123, S. 101)
auch früher bereits eine wichtige Quelle (dazu z. B. Brobjer 2008b, 83-85; zur
zeitgenössischen Kritik an Hellwalds Werk Jodl 1878, 63-81). Als eigentlicher
Erfinder der Moral wie in 367, 6-12 erscheint Zarathustra freilich auch in der
von N. studierten Urgeschichte der Menschheit von Otto Caspari: „Sehr früh
hervorragend unter allen erscheint uns in der Urgeschichte der Feuerpriester
und Magier Zoroaster. Wie weit auch der in der Urgeschichte stets lebendige
Mythus das Leben und die Persönlichkeit des Zoroaster mit luftigen Phantasie-
gebilden später ausgestattet hat, immerhin haben wir in historischer Hinsicht
anzunehmen, daß von einem hervorragenden Manne und Propheten Irans eine
Lehre als eigene Deutung und Zuspitzung der unter den Völkern herrschenden
kosmo-magischen Weltanschauung ausging, welche ursprünglich zum Brenn-
punkte der Entwickelung der moralischen Idee im Religionsleben der orientali-
schen Culturvölker werden sollte. Der endlliche Sieg des Wahren und Guten
über die angewachsene, sich verdichtende Macht des Bösen, und die Erlösung
und Befreiung, welcher das von den bösen Mächten umgebene und gedrückte
Menschenthum entgegengehen soll, das war der tiefe philosophische Kern
jener seltsamen Lehre über den Streit von Licht und Finsterniß [...]. Der Sieg
und Triumph des Guten über die schwarzen lichtzerstörenden Mächte der Bos-
heit, das war die Verheißung, die unter den Völkern des Morgenlandes sich
weiter und weiter ausbreitete, das war der Hinweis auf die Erlösung vom Uebel,
dem die geängstigten Völker freudig entgegenjauchzten." (Caspari 1877, 2, 464).
367, 14 f. die Experimental-Widerlegung vom Satz der sogenannten „sittlichen
Weltordnung"] Vgl. NK KSA 6, 195, 10-19 sowie GD Die vier grossen Irrthümer
7, KSA 6, 96, 7-9. Schon Gustav Teichmüller hatte in seinen Studien zur
Geschichte der Begriffe vorgeschlagen, die Geschichte (der Philosophie) als
„Experiment" zur Erhärtung oder Widerlegung philosophischer Behauptungen
zu verstehen (Teichmüller 1874, III). Bei N. haben nun nicht die Geschichtsbe-
trachtung und die damit verbundene Begriffsbildung experimentellen Charak-
ter, sondern das geschichtliche Geschehen selbst.
 
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