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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0656
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Stellenkommentar EH Schicksal, KSA 6, S. 372-373 633

feindlichen Moral rekonstruiert und damit der Blick auf andere mögliche Mora-
len frei.

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373, 12 Hat man mich verstanden?] Vgl. NK 371, 15.
373, 14-18 Die Entdeckung der christlichen Moral ist ein Ereigniss, das nicht
seines Gleichen hat, eine wirkliche Katastrophe. Wer über sie aufklärt, ist eine
force majeure, ein Schicksal, — er bricht die Geschichte der Menschheit in zwei
Stücke.] Damit ist eine Antwort auf die Titelfrage des Kapitels gegeben. N.
begreift sich selbst als die historische Gestalt, durch deren Wirken die
Geschichte in zwei Stücke auseinandergebrochen und der Nihilismus überwun-
den werde (vgl. Müller-Lauter 1971, 52).
373, 18-21 Der Blitz der Wahrheit traf gerade das, was bisher am Höchsten
stand: wer begreift, was da vernichtet wurde, mag zusehn, ob er überhaupt
noch Etwas in den Händen hat.] Die Blitz- und Gewittermetaphorik greift in N.s
Spätwerk um sich, vgl. NK KSA 6, 169, 20-23. In EH WA 4, KSA 6, 363, 34-
364, 1 ist das Umwertungsunternehmen der „zerschmetternde[.] Blitzschlag",
während hier die Wahrheit selbst als Blitz gilt — wobei die Wahrheit in ihrer
Zerstörungskraft gerade auch wieder mit der „Umwerthung aller Werthe" kurz-
geschlossen wird. Zur Geschichte dieser Metaphorik vgl. Braun 2007, 297-304
u. Taureck 2004, 379-407. Den Ausdruck fulgor veritatis, „Blitz der Wahrheit",
gibt es schon bei Bernhard von Clairvaux (vgl. Taureck 2004, 384); er wird
Karriere machen bis zu Heideggers „Blitz der Wahrheit des Seins in das wahr-
lose Sein" (Heidegger 1962, 45 u. 1994, 79, 75). In Jean Pauls Unsichtbarer Loge
ist zu lesen: „Ein Sopranist im guten Ton ([...]) wird stets den Blitz der Wahr-
heit durch Pointen so zuzuleiten und zu entkräften wissen, wie den elektri-
schen durch Spitzen. Der wirkliche Sopranist schneidet aus dem ewigen
Zirkel der Wahrheit bunte Segmente und Bogen aus, die auf nichts hängen
und ruhen, wie die farbigen herausgeschnittenen Fragmente des Regenbo-
gens." (Jean Paul 1822, 2, 81) Das Vernichtungspotential der Wahrheit als Blitz
in revolutionär-politischem Kontext beschwor der Junghegelianer Arnold Ruge
(1802-1880): „Wir sind der Blitz der Wahrheit, der euch vernich-
tet, indem er euch beleuchtet. Fahret hin!" (Ruge 1838, 102).
373, 23-25 der heilige Vorwand, die Menschheit zu „verbessern" als die List,
das Leben selbst auszusaugen] Die Formulierung spielt auf GD Die „Verbes-
serer" der Menschheit, KSA 6, 98-102 an.
 
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