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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0672
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Überblickskommentar 649

Die Imagination des Sterbens verbindet sich mit einem in N.s spätem Werk
immer schärfer hervortretenden imperatorischen Gestus. Schon in der ultimati-
ven Titelformulierung deutet er sich an, und er erreicht sein Maximum in den
Zeilen:
„befehlend, indem er starb
— und er befahl, dass man vernichte..." (388, 14 f.)
Die Vernichtungsphantasie, die im letzten Wort des Gedichts („vernich-
tend" — 388, 18) kulminiert, findet sich, zusammen mit der Vorstellung eines
eschatologisch besetzten „Gerichts", schon in N.s Frühwerk, am deutlichsten
in der Zweiten unzeitgemässen Betrachtung, wo „richten und vernichten" einen
formelhaften Konnex bilden (UB II HL 3, KSA 1, 270, 8). Im Spätwerk steigert
sich diese katastrophische Grundtendenz, die N. selbst als eine Tendenz zu
radikaler Verneinung diagnostiziert und mit einem Programm des „Bejahens"
auszugleichen versucht, bis zum Vernichtungsrausch. Am stärksten bricht er
durch in der Götzen-Dämmerung und im Antichrist.
Immer wieder geht in N.s Werken der Wunsch des Vernichtens in die Vor-
stellung der Selbstvernichtung über. Schon der nächste Dionysos-Dithyrambus
Zwischen Raubvögeln führt ihn zu einem Höhepunkt. N. imaginiert sich als
Philosophen, dessen Denkprozess ihn selbst tödlich untergräbt, so dass er sich
schließlich in einem Akt der Selbsterkenntnis als „Selbsthenker" bezeichnet,
der am Galgen dieser Selbsterkenntnis hängend sich von den „Raubvögeln"
einer alles zerfressenden Gedankenarbeit ,gelöst' sieht:

„sie werden dich schon ,lösen',
sie hungern schon nach deiner ,Lösung',
sie flattern schon um dich, ihr Räthsel,
um dich, Gehenkter!...
Oh Zarathustra!...
Selbstkenner!...
Selbsthenker!..." (392, 12-18)
N.s eigene Todesahnung verbindet sich mit einem typischen Decadence-Motiv:
dem Untergang der Sonne, den beispielsweise Baudelaire in einem der letzten
Sonette seiner Fleurs du mal: Le coucher du soleil romantique melancholisch
mit einem aus der schon nahenden Dunkelheit heranwehenden Grabeshauch
(„une odeur de tombeau") assoziierte. N.s Dithyrambus Die Sonne sinkt, der
wenig vom eigentlich dithyrambischen Stil spüren lässt und wie das berühmte
Venedig-Gedicht (EH Warum ich so klug bin 7, KSA 6, 291, 15-26) als ein im
engeren Sinn lyrisches Gedicht konzipiert ist, beginnt mit der entsprechenden
 
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