650 Dionysos-Dithyramben
Impression: „aus unbekannten Mündern bläst mich's an / — die grosse Kühle
kommt"; die zweite Partie fährt mit dem Titelmotiv fort: „Tag meines Lebens! /
die Sonne sinkt. [...] Tag meines Lebens! / gen Abend gehts!"; die abschlie-
ßende dritte Partie beschwört den Tod, aber mit einer überraschenden Wen-
dung des Schwermütigen ins Leichte eines späten Glücks:
„Heiterkeit, güldene, komm!
du des Todes
heimlichster süssester Vorgenuss!
[...]
Jetzt erst, wo der Fuss müde ward,
holt dein Blick mich noch ein,
holt dein Glück mich noch ein" (395, 6-396, 23)
N. schließt mit Versen, die das ,Dionysische' dieser Heiterkeit mit der Erinne-
rung an die Meerfahrt des Dionysos beschwören und damit doch noch das
Gedicht in den übergeordneten Horizont der Dionysos-Dithyramben stellen.
Zuallererst hatte die zweite Homerische Hymne an Dionysos das Abenteuer des
Dionysos mit den Seeräubern und dann seine siegreiche Meerfahrt dargestellt.
In einem der bedeutendsten bildlichen Zeugnisse des Dionysos-Mythos gestal-
tete der Vasenmaler Exekias um 530 v. Chr. auf einer Trinkschale diesen
Mythos: Dionysos fährt auf einem Nachen, dessen Schiffsschnabel einem
Fischkopf gleicht — N. spielt darauf an (vgl. NK 397, 6 f.) — über das Meer,
während aus dem Mastbaum ihm, dem Weingott, Trauben herabhängen und
die von dem Gott in Fische verwandelten Seeräuber seinen Nachen umkreisen.
In dem Zarathustra-Kapitel Von der grossen Sehnsucht (KSA 4, 278-280, insbe-
sondere 280, 9-25) hat N. diesen Mythos und seine Gestaltung durch Exekias,
die aus der Münchener Antiken-Sammlung damals bekannt war, ausführlicher
aufgegriffen. Der Dionysos-Dithyrambus Die Sonne sinkt schließt mit der knap-
pen Anspielung:
„Silbern, leicht, ein Fisch
schwimmt nun mein Nachen hinaus..." (397, 6 f.)
(2) Ein anderes Motiv, das der Wahrheit, dominiert den ersten Dionysos-Dithy-
rambus Nur Narr! Nur Dichter! und dann, mit ringkompositorischer Absicht,
den letzten: Von der Armuth des Reichsten. Obwohl N. vor allem in den späten
Schriften vehement gegen den Platonismus zu Felde zieht, gegen die meta-
physische „Hinterwelt" der platonischen Ideen, nimmt er im ersten Dithyram-
bus die Dichterkritik, die Platon am schärfsten in der Politeia formuliert hat,
substantiell und bis in einzelne Vorstellungen hinein auf. Platon stellte die
Impression: „aus unbekannten Mündern bläst mich's an / — die grosse Kühle
kommt"; die zweite Partie fährt mit dem Titelmotiv fort: „Tag meines Lebens! /
die Sonne sinkt. [...] Tag meines Lebens! / gen Abend gehts!"; die abschlie-
ßende dritte Partie beschwört den Tod, aber mit einer überraschenden Wen-
dung des Schwermütigen ins Leichte eines späten Glücks:
„Heiterkeit, güldene, komm!
du des Todes
heimlichster süssester Vorgenuss!
[...]
Jetzt erst, wo der Fuss müde ward,
holt dein Blick mich noch ein,
holt dein Glück mich noch ein" (395, 6-396, 23)
N. schließt mit Versen, die das ,Dionysische' dieser Heiterkeit mit der Erinne-
rung an die Meerfahrt des Dionysos beschwören und damit doch noch das
Gedicht in den übergeordneten Horizont der Dionysos-Dithyramben stellen.
Zuallererst hatte die zweite Homerische Hymne an Dionysos das Abenteuer des
Dionysos mit den Seeräubern und dann seine siegreiche Meerfahrt dargestellt.
In einem der bedeutendsten bildlichen Zeugnisse des Dionysos-Mythos gestal-
tete der Vasenmaler Exekias um 530 v. Chr. auf einer Trinkschale diesen
Mythos: Dionysos fährt auf einem Nachen, dessen Schiffsschnabel einem
Fischkopf gleicht — N. spielt darauf an (vgl. NK 397, 6 f.) — über das Meer,
während aus dem Mastbaum ihm, dem Weingott, Trauben herabhängen und
die von dem Gott in Fische verwandelten Seeräuber seinen Nachen umkreisen.
In dem Zarathustra-Kapitel Von der grossen Sehnsucht (KSA 4, 278-280, insbe-
sondere 280, 9-25) hat N. diesen Mythos und seine Gestaltung durch Exekias,
die aus der Münchener Antiken-Sammlung damals bekannt war, ausführlicher
aufgegriffen. Der Dionysos-Dithyrambus Die Sonne sinkt schließt mit der knap-
pen Anspielung:
„Silbern, leicht, ein Fisch
schwimmt nun mein Nachen hinaus..." (397, 6 f.)
(2) Ein anderes Motiv, das der Wahrheit, dominiert den ersten Dionysos-Dithy-
rambus Nur Narr! Nur Dichter! und dann, mit ringkompositorischer Absicht,
den letzten: Von der Armuth des Reichsten. Obwohl N. vor allem in den späten
Schriften vehement gegen den Platonismus zu Felde zieht, gegen die meta-
physische „Hinterwelt" der platonischen Ideen, nimmt er im ersten Dithyram-
bus die Dichterkritik, die Platon am schärfsten in der Politeia formuliert hat,
substantiell und bis in einzelne Vorstellungen hinein auf. Platon stellte die