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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0685
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662 Dionysos-Dithyramben

Altes Testament 1818, 878, vgl. Hosea 6, 4; Micha 5, 6 u. Psalm 110, 3). Der
himmlische Tau, sprich: die religiöse Wahrheit, vermag jedoch das lyrische Ich
nicht mehr zu befruchten. Vgl. NK 406, 2-9.
Die Verbindung von Träne, Tau und Tröstung ist ein zentrales Thema der
Karfreitagsszene in Wagners Parsifal (das zuvor bereits als Motiv im Gesang
Kundrys während des zweiten Aktes vorgebildet ist, siehe Wagner 1907, 10,
356): Parsifal sieht am Karfreitagmorgen den Tau auf den Wiesen glitzern und
erkennt in ihm die Tränen der Natur („Das sollte, wähn' ich, was da blüh't, /
was athmet, lebt und wieder lebt, / nur trauern, ach! und weinen?" Wagner
1907, 10, 371). Gurnemanz deutet ihm diese nicht als Schmerzenstränen, son-
dern als freudige Reuetränen angesichts des anstehenden „Unschuldstags"
(„Des Sünders Reuethränen sind es, / die heut' mit heil'gem Thau / beträufet
Flur und Au'", ebd.). Hierauf wendet sich Parsifal an die weinende Kundry:
„Auch deine Thräne wird zum Segensthaue: / du weinest — sieh! es lacht die
Aue." (Ebd., 372).
Wenn sich das lyrische Ich in Nur Narr! Nur Dichter! explizit als „Narr"
von derartiger himmlischer Tröstung abwendet, von der „jener alte Zauberer"
hier singt („Schon gab uns jener alte Zauberer von seinem Schlimmsten zum
Besten", 381, 6 f.; auch in Za ist er der Sänger dieses Lieds), werden auch
Motive aus dem nachgelassenen Gedicht „An Richard Wagner" (NL 1884,
KSA 11, 28[48], 319) aufgenommen: Auf der einen Seite steht dort Wagner als
„freiheit-dürst'ger Geist", der „aus jedem Balsam Gift" trank (ebd., KSA 11, 319,
3 u. 6, letzteres eine Anspielung auf August von Platens Tristan), auf der ande-
ren Seite das lyrische Ich als N. in persona: „Die Narrenkappe werf' ich tanzend
in die Luft! / Denn ich entsprang -" (ebd., 13 f.).
377, 8 f. gedenkst du da, gedenkst du, heisses Herz, / wie einst du durstetest]
Ringkompositorische Wiederaufnahme dieser Verse am Ende (380, 17 f.).
377, 16 f. „Der Wahrheit Freier — du? so höhnten sie / nein! nur ein Dichter!]
Dem Anführungszeichen am Beginn dieser imaginierten, in Frage und Antwort
aufgeteilten Rede folgt auch in der Handschrift kein Abführungszeichen.
Die Vorstellung, dass der Philosoph ein Freier der Wahrheit sei, verbindet
sich bereits mit seinem Namen, nämlich ein Liebhaber der Weisheit zu sein.
Er taucht auch in der zeitgenössischen wissenschaftlichen Literatur auf. Bei-
spielsweise heißt es in einer Monographie von Gustav Müller über Aristoteles,
er sei „der philosophische Odysseus, der durch seine bogenspannende Kraft
und seinen sichern Schuß sich als der ebenbürtige Freier der Wahrheit bekun-
det" (Müller 1844, 1, 12). N. benutzt den Ausdruck schon 1872 (CV 1, KSA 1,
758, 2, vgl. PHG 8, KSA 1, 834, 10) und münzt ihn in MA I 261 ironisch auf die
Anhänger der hellenistischen Philosophenschulen: „als erst die verschiedenen
Secten ihre Wahrheiten auf den Strassen verfochten, da waren die Seelen aller
 
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