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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0687
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664 Dionysos-Dithyramben

sis pointierende Hervorhebung des ,Bunten' gibt der von N. in früheren Texten
als spätantikes Phänomen charakterisierten sog. ,Buntschriftstellerei' eine
neue Bedeutung. Vgl. auch NK KSA 6, 36, 34.
378, 7-9 herumsteigend auf lügnerischen Wortbrücken, / auf Lügen-Regenbo-
gen / zwischen falschen Himmeln] Die „Lüge" — im Kontrast zur ersehnten
„Wahrheit" — als notwendiges Verhängnis des Dichters hat nicht nur Platons
Dichterkritik, sondern auch die bereits in der frühen Schrift Ueber Wahrheit
und Lüge im aussermoralischen Sinn entwickelten Gedanken als Voraussetzung,
vgl. ÜK DD. Die metaphorische Vorstellung von „Lügen-Regenbogen / zwischen
falschen Himmeln" zielt auf die illusionäre Idealität, welcher sich die Dichter
hingeben, insbesondere auf ihre religiöse Vorgeschichte und die metaphysi-
schen Nachwehen: Der Regenbogen ist in der Bibel das Zeichen des Bundes,
den Gott mit den Menschen geschlossen hat und insofern ein Zeichen des
Heils, siehe Genesis 9, 13-15: „Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken,
der soll das Zeichen seyn des Bundes zwischen mir und der Erde. Und wenn
es kommt, daß ich Wolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen
sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen
mir und euch" (Die Bibel: Altes Testament 1818, 9). In Klopstocks Gedicht Früh-
lingsfeier, auf das Goethe an herausgehobener Stelle in seinem Werther
anspielt, hatte die biblische Vorstellung ihre berühmteste literarische Gestal-
tung erfahren. N. greift sie schon in UB IV WB 11 auf (KSA 1, 506, 20-22).
378, 13-18 Nicht [...] zum Bilde worden, / zur Gottes-Säule, / nicht aufgestellt
vor Tempeln, / eines Gottes Thürwart: / nein! feindselig solchen Tugend-Standbil-
dern] N. spielt auf die ,Götzen' an, denen er in der Götzen-Dämmerung eine
Absage erteilt, darunter auch den moralischen Fixierungen, den „Tugend-
Standbildern", die im Zentrum der Genealogie der Moral stehen.
378, 24-29 dass du in Urwäldern / unter buntzottigen Raubthieren [...] rau-
bend, schleichend, lügend liefest...] Hier und in den folgenden Abschnitten
wird das im Selbstgespräch mit „du" apostrophierte Dichter-Ich inne, dass es
auch dann noch nicht zur „Wahrheit" durchdringt und „lügen" muss, wenn es
alle religiösen und moralischen Fixierungen als falschen Schein entlarvt hat.
Denn selbst noch wenn es diese als fragwürdige Zivilisationsprodukte abgetan
hat und wie ein „Panther" in „Wildniss" (378, 19) und „Urwälder" (378, 24)
vorgedrungen ist oder wie ein „Adler" in „Abgründe" blickt, bleibt es immer
noch in „des Dichters Sehnsüchten" (379, 20) befangen und vermag auch wei-
terhin, trotz aller Entlarvungen, nur durch „tausend Larven" (379, 21) zu spre-
chen: Es findet keine Authentizität und damit keinen Zugang zur „Wahrheit",
auch wenn es sich an der „Seligkeit" (379, 28-30) des Zerreißens und Vernich-
tens berauscht. Am Ende muss es erkennen, dass es sich einem „Wahrheits-
 
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