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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0697
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674 Dionysos-Dithyramben

Modell des Dionysos, der schon bei den Griechen ein Gott des Tanzes ist. Im
Dithyrambus Letzter Wille ist der „Tänzer" vor diesem Hintergrund zu verste-
hen (388, 7). Beide Figuren, Dionysos und Zarathustra, verschmilzt N. mitein-
ander nicht nur, weil er Zarathustra wesentlich ,dionysisch' definiert, sondern
auch weil sie ohnehin gleichermaßen Mythogramme des Ichs sind. In der
Schlusspartie zum Versuch einer Selbstkritik, den er der Neuausgabe von GT
1886 voranstellte, spricht er vom „dionysischen Unhold[.]", „der Zara-
thustra heisst" (KSA 1, 22, 12 f.). Auch der erste Teil von Za endet mit einer
letztwilligen Verfügung, mit der Zarathustra selbst sich als „der Untergehende"
zu erkennen gibt: „,Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass
der Übermensch lebe.' — diess sei einst am grossen Mittage unser letzter
Wille!" (Za I Von der schenkenden Tugend 3, KSA 4, 102, 10 u. 13-15).
388, 18 siegend, vernichtend] In EH Warum ich ein Schicksal bin 2 schreibt
N., nach einer Berufung auf Zarathustra, der „ein Vernichter erst sein
und Werthe zerbrechen" muss (KSA 6, 366, 22 f.): „Ich kenne die Lust
am Vernichten in einem Grade, die meiner Kraft zum Vernichten gemäss
ist, — in Beidem gehorche ich meiner dionysischen Natur, welche das Nein-
thun nicht vom Jasagen zu trennen weiss" (KSA 6, 366, 29-32). In EH GT 3,
KSA 6, 312, 10-23 setzt N. die Begriffe „tragisch" und „dionysisch" gleich, um
daraus eine „Psychologie des tragischen Dichters" abzuleiten, der „die
ewige Lust des Werdens" und dazu noch „die Lust am Vernichten" reprä-
sentiert.

Zwischen Raubvögeln.
Erst im letzten Abschnitt wird ganz erkennbar, was die Titel-Metapher der
„Raubvögel" im eigentlichen Sinn bedeutet: Das seinen eigenen Erkenntnissen,
seinem Wissen und seinen Zweifeln sich ausliefernde Ich fühlt sich wie einer,
der sich selbst — als „Selbsthenker" — an den Galgen gebracht hat und dort
von Aasvögeln zerfressen wird.
Das Gedicht geht von zwei Motiven aus, die in N.s Werken häufig wieder-
kehren: von dem Gefühl, an einem „Abgrund" zu stehen und in „Abgründe"
zu blicken, und von der Erfahrung der Einsamkeit, die auch andere Dithyram-
ben zum Ausdruck bringen (vgl. ÜK DD). In den „Abgrund" führen nicht nur
Denken und Erkennen, der Abgrund ist auch derjenige, den das „im eignen
Schachte" (391, 11) arbeitende Ich in sich selbst gräbt und damit sich zugleich
untergräbt; die Einsamkeit ist sowohl eine äußere, die den Denker vom Leben
 
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