676 Dionysos-Dithyramben
dich / ans harte Wissen? / Was locktest du dich / mit der Schlange der deiner
Erkenntniß?"
390, 18-20 von dir selber erjagt, / deine eigene Beute, / in dich selber einge-
bohrt] Fortführung der von der Figur des Jägers Nimrod ausgehenden Jagd-
Metaphorik (vgl. NK 390, 12-16), die nun eine autoreferentielle Wendung
nimmt. Der Vers „in dich selber eingebohrt" rekurriert auf die Metapher „Pfeil
des Bösen" (390, 16).
390, 21-24 Jetzt — / einsam mit dir, / zwiesam im eignen Wissen, / zwischen
hundert Spiegeln] Später, in 392, 3 f., variiert und verstärkt N. die Korrelation
„einsam" — „zwiesam": „Jüngst noch der Einsiedler ohne Gott, / der Zweisied-
ler mit dem Teufel". Die Wortspiele mit dem Wort „Zwei" assoziieren den auf
die gleiche Wurzel zurückgehenden ,Zweifel', den die christliche Tradition als
glaubenswidrig verurteilt; sie gelten hier aber den aus endloser Selbstreflexion
(„zwischen hundert Spiegeln") resultierenden Selbstzweifeln.
Beim Hapax legomenon „zwiesam" handelt es sich offensichtlich um einen
Neologismus N.s (Groddeck 1991, 2, 120 u. 318) als Synomym für „zweisam",
das sich lautlich an das „zwischen" zu Beginn der nächsten Textzeile (390, 24)
anpasst.
390, 26-30 zwischen hundert Erinnerungen / ungewiss, / an jeder Wunde
müd, / an jedem Froste kalt, / in eignen Stricken gewürgt] KSA 14, 516 teilt die
folgende Vorstufe mit: „zwischen hundert Erinnerungen / eingesperrt einge-
spannt, blutend an jeder Wunde / zitternd vor jedem Hauch".
390, 31f. Selbstkenner! / Selbsthenker!] Die Selbsterkenntnis wird als
etwas Selbstzerstörerisches verstanden, im bewussten Gegensatz zum sokrati-
schen Verständnis der Selbsterkenntnis als etwas (angeblich) Glücksträchti-
gem, wie N. es z. B. in GD Das Problem des Sokrates exponiert (vgl. z. B. NK
KSA 6, 69, 19-21), und in deutlicher Analogie zur destruktiven Anagnorisis der
Helden in den griechischen Tragödien. Das Wort „Selbsthenker", das bei N.
nur hier vorkommt, ist im 18. Jahrhundert gebräulich für jemanden, der sich
selbst getötet, näherhin erhängt hat (z. B. der „Selbsthenker Zeno" von Kition
bei Mattheson 1751, 81, siehe auch Simonetti 1751, 2, 350). Im frühen 19. Jahr-
hundert kommt der Begriff auf zur Charakterisierung eines falsch verstande-
nen monastischen Ideals, eines selbstquälerischen Lebens im Kloster (z. B.
[Aschenbrenner] 1802, 23).
391, 3 f. Was locktest du dich / ins Paradies der alten Schlange?] Anspielung
auf die Verführung Evas durch die Schlange, die zum Sündenfall und zur Ver-
treibung aus dem Paradies führt. In der biblischen Geschichte bewirkt der vom
Baum der Erkenntnis gepflückte Apfel, von dem Eva und Adam essen, Erken-
dich / ans harte Wissen? / Was locktest du dich / mit der Schlange der deiner
Erkenntniß?"
390, 18-20 von dir selber erjagt, / deine eigene Beute, / in dich selber einge-
bohrt] Fortführung der von der Figur des Jägers Nimrod ausgehenden Jagd-
Metaphorik (vgl. NK 390, 12-16), die nun eine autoreferentielle Wendung
nimmt. Der Vers „in dich selber eingebohrt" rekurriert auf die Metapher „Pfeil
des Bösen" (390, 16).
390, 21-24 Jetzt — / einsam mit dir, / zwiesam im eignen Wissen, / zwischen
hundert Spiegeln] Später, in 392, 3 f., variiert und verstärkt N. die Korrelation
„einsam" — „zwiesam": „Jüngst noch der Einsiedler ohne Gott, / der Zweisied-
ler mit dem Teufel". Die Wortspiele mit dem Wort „Zwei" assoziieren den auf
die gleiche Wurzel zurückgehenden ,Zweifel', den die christliche Tradition als
glaubenswidrig verurteilt; sie gelten hier aber den aus endloser Selbstreflexion
(„zwischen hundert Spiegeln") resultierenden Selbstzweifeln.
Beim Hapax legomenon „zwiesam" handelt es sich offensichtlich um einen
Neologismus N.s (Groddeck 1991, 2, 120 u. 318) als Synomym für „zweisam",
das sich lautlich an das „zwischen" zu Beginn der nächsten Textzeile (390, 24)
anpasst.
390, 26-30 zwischen hundert Erinnerungen / ungewiss, / an jeder Wunde
müd, / an jedem Froste kalt, / in eignen Stricken gewürgt] KSA 14, 516 teilt die
folgende Vorstufe mit: „zwischen hundert Erinnerungen / eingesperrt einge-
spannt, blutend an jeder Wunde / zitternd vor jedem Hauch".
390, 31f. Selbstkenner! / Selbsthenker!] Die Selbsterkenntnis wird als
etwas Selbstzerstörerisches verstanden, im bewussten Gegensatz zum sokrati-
schen Verständnis der Selbsterkenntnis als etwas (angeblich) Glücksträchti-
gem, wie N. es z. B. in GD Das Problem des Sokrates exponiert (vgl. z. B. NK
KSA 6, 69, 19-21), und in deutlicher Analogie zur destruktiven Anagnorisis der
Helden in den griechischen Tragödien. Das Wort „Selbsthenker", das bei N.
nur hier vorkommt, ist im 18. Jahrhundert gebräulich für jemanden, der sich
selbst getötet, näherhin erhängt hat (z. B. der „Selbsthenker Zeno" von Kition
bei Mattheson 1751, 81, siehe auch Simonetti 1751, 2, 350). Im frühen 19. Jahr-
hundert kommt der Begriff auf zur Charakterisierung eines falsch verstande-
nen monastischen Ideals, eines selbstquälerischen Lebens im Kloster (z. B.
[Aschenbrenner] 1802, 23).
391, 3 f. Was locktest du dich / ins Paradies der alten Schlange?] Anspielung
auf die Verführung Evas durch die Schlange, die zum Sündenfall und zur Ver-
treibung aus dem Paradies führt. In der biblischen Geschichte bewirkt der vom
Baum der Erkenntnis gepflückte Apfel, von dem Eva und Adam essen, Erken-