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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0721
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698 Dionysos-Dithyramben

Die Frage nach Vater und Mutter klingt auch in EH Warum ich so weise
bin 3 an: „Man ist am wenigsten mit seinen Eltern verwandt: es wäre das
äusserste Zeichen von Gemeinheit, seinen Eltern verwandt zu sein" (KSA 6,
268, 32-269, 1). Der ganz vom ,dionysischen' Zarathustra her konzipierte Über-
mensch lässt seine Herkunft hinter sich. Vgl. Lukas 14, 26: „So jemand zu mir
kommt, und hasset nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwes-
tern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger seyn." (Die
Bibel: Neues Testament 1818, 91).
407, 25 mich Räthselthier] Schon in GT thematisierte N. die allem ,sokrati-
schen' Optimismus des Erkenntnisstrebens unzugängliche Rätselhaftigkeit des
Daseins, indem er die „Erkennbarkeit und Ergründlichkeit aller Welträthsel"
in Frage stellte (GT 18, KSA 1, 118, 16 f.). In Za ist dementsprechend das „Räth-
sel" ein wichtiges Thema, besonders im Kapitel Vom Gesicht und Räthsel (Za
III, KSA 4, 197-202). Personifiziert in der Gestalt des „weisen Zarathustra" wird
das Rätsel schon im zweiten Dithyrambus: Zwischen Raubvögeln, wo das sich
mit Zarathustra identifizierende Ich „ein müdes Räthsel" genannt wird, „ein
Räthsel für Raubvögel...", und schließlich heißt es: „sie werden dich schon
,lösen', / sie hungern schon nach deiner ,Lösung', / sie flattern schon um dich,
ihr Räthsel, / um dich, Gehenkter!..." (392, 10-15). In 408, 15 heißt es von der
„Wahrheit", von der Zarathustra sagt: „Meine Wahrheit ists!", dass sie dieses
Rätsel des „Räthselthiers" erriet: „sie errieth mich" (408, 21).
407, 26 mich Lichtunhold] „Lichtunhold" ist ein Neologismus. Im ,Versuch
einer Selbstkritik', den N. seiner 1886 erschienenen Neuausgabe der Geburt der
Tragödie voranstellte, leitet er das abschließende Zitat aus dem blasphemi-
schen vierten Teil seines Zarathustra mit den Worten ein: „um es in der Spra-
che jenes dionysischen Unholds zu sagen, der Zarathustra heisst: [...]"
(KSA 1, 22, 11-13). Die Prägung „Lichtunhold" spielt auf ,Luzifer', den ,Licht-
bringer' an: auf den Engel, der sich von Gott lossagt und deshalb als Teufel in
die Hölle hinabgestürzt wird.
407, 29 f. ein Thauwind, / sitzt Zarathustra wartend, wartend auf seinen Ber-
gen] In einer Vorstufe gibt es dazu die Anmerkung: „feucht vor Zärtlichkeit, /
ein Thauwind" (KSA 14, 518).
408, 1 f. im eignen Safte / süss geworden und gekocht] In der lateinischen Spra-
che bezeichnet „coquere" („kochen") oft auch das Reifwerden von Früchten,
so bei Cicero: „poma [...] si matura et cocta" (Cato 71).
408, 7-9 — Still! / Eine Wahrheit wandelt über mir / einer Wolke gleich] Hier
beginnt die Inszenierung einer ,von oben' zuteil werdenden Inspiration (die N.
für Za als überwältigende Erfahrung reklamierte). Durch sie „kommt" wie mit
 
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