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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0744
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Stellenkommentar NW bewundere, KSA 6, S. 417-418 721

hier nicht verführt zu werden, man muss beissen können, um hier nicht anzu-
beten." Und Kynismus, insofern er werkerschaffend ist, hat nach GD Was ich
den Alten verdanke 2, KSA 6, 155, 21-24, eine bedenkliche Schlagseite zur deca-
dence, die N. 1888 mit Vorliebe an Wagner festmacht: „Plato wirft, wie mir
scheint, alle Formen des Stils durcheinander, er ist damit ein erster decadent
des Stils: er hat etwas Ähnliches auf dem Gewissen, wie die Cyniker, die die
satura Menippea erfanden." Entsprechend eng wird in NL 1887, KSA 12, 10[52],
482 (korrigiert nach KGW IX 6, W II 2, 105, 34-36) Nihilismus und Cynismus
zusammengezogen: „Der nihilistische Künstler verräth sich im
Willen und Vorzüge der cynischen Geschichte, der cynischen
Natur." Immerhin lässt sich diese Form des „Cynismus" als Ankündigung
künftiger Umwertung verstehen: „Die Vorzeichen einer großen Revolte: ein
Cynismus auf Befehl, ein Durst nach Skandal, agagant, irritation, lassitude."
(NL 1887/88, KSA 13, ll[340], 147 = KGW IX 7, W II 3, 44, 2-4) Das würde nichts
an der dekadenten Minderwertigkeit der entsprechenden Kunstprodukte
ändern. Freilich handelt es sich bei NL 1887/88, KSA 13, ll[340] nicht um eine
Überlegung N.s, sondern um eine Paraphrase nach Dostojewskijs Bessy: „A la
verite, il y avait chez nous autre chose encore qu'une simple soif de scandale:
il y avait de l'agacement, de l'irritation, de la lassitude. Partout regnait un
cynisme de commande" (Dostoievsky 1886a, 2, 141. „In Wahrheit gab es bei
uns noch eine andere Sache als der einfache Durst nach dem Skandal: Es gab
Gereiztheit, Irritation, Verdrossenheit. Überall herrschte ein Befehlszynis-
mus"). Der Begriff der Revolte kommt in der Vorlage freilich gerade nicht vor.
Zum historischen Hintergrund des Kynismus-Komplexes siehe NK KSA 6, 302,
26-30. Der von N. in NW Wo ich Einwände mache benutzte Aphorismus FW
368 trug ursprünglich die Überschrift „Der Cyniker redet" (KSA 3, 616,
29), diese entfällt dann aber in NW, so dass keine Konfusion allenfalls verschie-
dener „Cynismus"-Begriffe auf engem Raum entstehen kann. Bemerkenswert
ist, dass in 418, 4 der „Cynismus" mit Leiden, ja sogar mit einem Superlativ
des Leidens assoziiert wird, was wiederum auf den dekadenten Charakter die-
ser Spielart des Kynismus aufmerksam macht. Das Motiv des Leidens nimmt
N. im neuen Schluss des Abschnitts noch einmal auf, siehe NK 418, 15-17.
418, 6 gleichsam die Schuppen ihrer amphibischen Natur —] Dieser in FW feh-
lende Einschub soll das „ganz Kleine und Mikroskopische der Seele" (418, 5)
näher erläutern, die der in Frage stehende Künstler in Musik zu setzen ver-
stehe. In M 89, KSA 3, 83, 13 hatte N. bereits von „unserer amphibischen Natur"
gesprochen, und zwar im Zusammenhang mit dem christlichen Verbot des
Zweifels: „Man soll ohne Vernunft, durch ein Wunder, in den Glauben hinein-
geworfen werden und nun in ihm wie im hellsten und unzweideutigsten Ele-
mente schwimmen: schon der Blick nach einem Festlande, schon der Gedanke,
 
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