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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0778
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Stellenkommentar NW Antipoden, KSA 6, S. 426-427 755

Während der Abschluss von FW 370 mehrere Kriterien erwägt, mit deren
Hilfe künstlerische Produktivität im Besonderen und menschliches Tun im All-
gemeinen beurteilt werden könnten, legt N. sich in der Überarbeitung von
vornherein auf die Dichotomie von Lebenshass oder Lebensüberfluss als Ursa-
che von Produktivität fest, die alle weiteren Unterscheidungen überflüssig
macht. Goethe und Flaubert dienen dann der praktischen Illustration dieser
Dichotomie. Die Option eines künftigen „dionysischen Pessimismus", mit dem
N. in FW 370 den Anschluss an sein vom Pessimismus fasziniertes Frühwerk
zu bewerkstelligen suchte, entfällt jetzt ersatzlos — wie überhaupt jede
gedankliche Komplikation als hinderlich zum antiwagnerischen Zwecke emp-
funden wird. Die Zurüstung der früheren Texte erfolgt in NW insgesamt klar
strategisch motiviert.
426, 28-427, 2 Flaubert, eine Neuausgabe Pascal's, aber als Artist, mit dem
Instinkt-Urtheil aus dem Grunde: „Flaubert est toujours haissable, l'homme
n'est rien, l'oeuvre est tout"... Er torturirte sich, wenn er dichtete, ganz wie
Pascal sich torturirte, wenn er dachte — sie empfanden beide unegoistisch...
„Selbstlosigkeit" — das decadence-Princip, der Wille zum Ende in der Kunst
sowohl wie in der Moral.] Die Zusammenstellung von Pascal und Flaubert unter
der Perspektive des Selbsthasses findet sich in Bourgets Essais de psychologie
contemporaine „Aussi Flaubert est-il l'homme de lettres de ce siecle qui a le
moins souvent ecrit la syllabe je ä la tete de sa phrase, cette syllabe dont
l'egoisme tyrannique revoltait dejä Pascal: ,Le moi est haissable', dit un frag-
ment celebre des Pensees. Mais le moraliste ajoute aussitöt: ,Vous, Mitton [sic],
le couvrez, vous ne l'ostez pas pour cela...' Flaubert, de meme, a couvert son
moi. Il ne l'a pas ote de son oeuvre." (Bourget 1883, 114, Nachweis bei Campioni
1995, 404. „Flaubert ist auch derjenige Schriftsteller dieses Jahrhunderts, der
am wenigsten häufig die Silbe ,lch‘ an den Anfang seiner Sätze gestellt hat;
diese Silbe, deren tyrannischer Egoismus bereits Pascal empört hat: ,Das Ich
ist hassenswert', sagt ein berühmtes Fragment der Pensees. Aber der Moralist
fügt sogleich hinzu: ,Sie, Mitton, verdecken es bloß, Sie legen es aber nicht
ab...' Flaubert selbst hat sein Ich verdeckt. Er hat es aus seinem Werk nicht
entfernt.")
Die von Bourget zitierte Stelle lautet bei Pascal in der Ausgabe von Prosper
Faugere: „Le moi est haissable. Vous, Miton, le couvrez; vous ne l'ötez pas
pour cela: vous etes donc toujours haissable. / Point; car en agissant comme
nous faisons, obligeamment pour tout le monde, on n'a plus sujet de nous
hair. Cela est vrai, si on ne baissait dans le moi que le deplaisir qui nous en
revient. / Mais si je le hais parce qu'il est injuste, qu'il se fait centre du tout,
je le häirai toujours." (Pascal 1814, 1, 197) In der von N. benutzten deutschen
Übersetzung der Faugere-Ausgabe lautet der Passus wie folgt: „Das Ich ist has-
 
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