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Jayme, Erik; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 3. Abhandlung): Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz ; vorgetragen am 27. Oktober 1990 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48163#0021
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Kunstwerk und Nation

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düng der britischen Behörden hat also durchaus Überzeugungskraft.
Wird ein Kunstwerk durch einen ausländischen Künstler für einen
gewissen Ort geschaffen oder hat er es dorthin bringen lassen - so
könnte man die These formulieren gibt der legale Aufbewahrungsort
den Ausschlag, wenn die Nationalität des Kunstwerks in Frage steht.49
X. Historische Prämissen: Antonio Canova und das
nationale Kunstwerk
Verweilen wir noch etwas bei Antonio Canova. Er ist die Schlüsselfi-
gur für die ganze Fragestellung. Er schuf nämlich den Typus des nationa-
len Kunstwerks par excellence, das als solches auch verstanden und auf-
genommen wurde. Zu denken ist hier vor allem an die „Venere italica“,
die italienische Venus, die Canova als Ersatz für die antike Statue der
medicäischen Venus schuf, welche Napoleon aus Florenz nach Paris
hatte überführen lassen.50
Canova übernahm die Form der antiken Götterstatue, verwandelte
sie aber in einen modernen Menschen, indem er sie mit natürlichen Be-
wegungsmotiven ausstattete. Die „Venere italica“ wurde als Kunstwerk
einer werdenden Nation empfunden, die in einem solchen Kunstwerk
ihre Identität im Hinblick auf einen künftigen Staat verkörpert sah. Ca-
nova schreibt am 19. Mai 1812 aus Florenz an Quatremere de Quincy
nach Paris und berichtet über den Erfolg der Statue.51 Stolz fügt er sei-
nem Brief ein anonymes Sonett bei, in dem die canovianische Gestalt als
der medicäischen Venus überlegen gefeiert wird. Der Schluß des So-
netts lautet:
„Non fonte mi cangiö, non la mia stella,
Ne rinacqui dal mare: Italo fabbro
Quando vita mi die, mi fe’ piü bella“
Die nach Florenz zurückgekehrte Göttin wird in dem Sonett gefragt,
wieso sie noch schöner geworden sei. Sie antwortet: „Nicht eine Quelle
veränderte mich, noch mein Stern, auch wurde ich nicht vom Meere neu
49 Jayme, Internationaler Kulturgüterschutz: Lex originis oder lex rei sitae - Tagung in
Heidelberg, IPRax 1990, 347f.
50 Vgl. Quatremere de Quincy, oben Note 47, S. 136ff., 139: „on lui donna le nom de
Venere Italica“.
51 Quatremere de Quincy, oben Note 47, S. 383ff., 385 (Sonetto - Alla Venere di Ca-
nova).
 
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