Kunstwerk und Nation
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in Venedig,108 Macke und Klee in Tunis, Anders Zorn in Granada;109
ihre Werke bleiben rechtlich gesehen englische, deutsche und schwedi-
sche Bilder. Ähnlich verhält es sich mit Matisse in Marokko.11" Die dort
entstandenen Bilder, deren magische Schönheit durch die Öffnung der
russischen Museen der staunenden Welt jüngst wieder bewußt gewor-
den ist, sind eher Werke der Selbstfindung. Sie stehen in der französi-
schen Tradition einer orientalisierenden Romantik, sind keine Abbilder
Marokkos, das für seine Identität eine Bestätigung durch Matisse nicht
braucht. Matisse malte im übrigen seine marokkanischen Bilder vielfach
für Moskauer Auftraggeber.
Anders ist es dagegen, wenn Bonnard nach Hamburg eingeladen
wird, um die Alster zu malen. Hier setzt sich der Ort der Entstehung
durch.111
XX. Nationale Identität und Weltbürgertum
Die Lösung der nationalen Zuordnungsfragen hat also meines Erach-
tens so zu erfolgen, daß man international verträgliche Zuordnungskri-
terien entwickelt, die jeder Nation die Möglichkeit geben, ihre Identität
zu bewahren. Im Vordergrund steht die Nationalität des Künstlers. Vor-
rangig ist aber die Nation, für die das Kunstwerk geschaffen wurde. Im-
mer aber geht es darum, daß die Nation auch selbst ihr Kunstwerk als
nationales annimmt. In einer Welt, in der technische Zwänge die seelen-
lose Uniformität der Gegenstände durchsetzen, übernehmen Kunst-
werke mehr denn je die Aufgabe, den einzelnen Menschen ihre kultu-
relle Identität zurückzugeben, die ihnen erst ihre menschliche Existenz
ermöglicht. Kunstwerke sind wie die Sprachen zugleich Zeichen einer
"lx Vgl. Rödiger-Diruf, Zu Richard P. Bonington und zur Kunst im England des 18. Jahr-
hunderts, in: Katalog der Städtischen Galerie Karlsruhe im Prinz-Max-Palais „Richard
Parkes Bonington (1802-1828) - Paul Sandby - Wegbereiter der Aquarellmalerei“
1989, S. 19ff., 39ff.; Neil Walker, Richard Parkes Bonington 1802-1828, a.gl.O., S.
107 ff., 111 ff.
109 Jens Christian Jensen (Hrsg.), Anders Zorn 1860-1920, Kiel 1989, S.223 Nr. 30 u. 31.
110 Vgl. Werner Spies, Der seßhafte Nomade - Matisse in Marokko, Frankfurter Allge-
meine Zeitung 8. 8. 1990, Nr. 182, S. 21.
111 Alfred Lichtwark (1886-1914), der Leiter der Hamburger Kunsthalle, lud verschiedene
auswärtige Künstler ein, „Hamburg-Bilder“ zu malen. So kam mit Edouard Vuillard
auch Pierre Bonnard 1913 nach Hamburg. Beide Künstler malten Ansichten von der
Alster; vgl. Hentzen (Hrsg.), Hamburger Kunsthalle - Meisterwerke der Gemäldega-
lerie 1969, S. 13 sowie Abb. Nr. 328, 329, 331.
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in Venedig,108 Macke und Klee in Tunis, Anders Zorn in Granada;109
ihre Werke bleiben rechtlich gesehen englische, deutsche und schwedi-
sche Bilder. Ähnlich verhält es sich mit Matisse in Marokko.11" Die dort
entstandenen Bilder, deren magische Schönheit durch die Öffnung der
russischen Museen der staunenden Welt jüngst wieder bewußt gewor-
den ist, sind eher Werke der Selbstfindung. Sie stehen in der französi-
schen Tradition einer orientalisierenden Romantik, sind keine Abbilder
Marokkos, das für seine Identität eine Bestätigung durch Matisse nicht
braucht. Matisse malte im übrigen seine marokkanischen Bilder vielfach
für Moskauer Auftraggeber.
Anders ist es dagegen, wenn Bonnard nach Hamburg eingeladen
wird, um die Alster zu malen. Hier setzt sich der Ort der Entstehung
durch.111
XX. Nationale Identität und Weltbürgertum
Die Lösung der nationalen Zuordnungsfragen hat also meines Erach-
tens so zu erfolgen, daß man international verträgliche Zuordnungskri-
terien entwickelt, die jeder Nation die Möglichkeit geben, ihre Identität
zu bewahren. Im Vordergrund steht die Nationalität des Künstlers. Vor-
rangig ist aber die Nation, für die das Kunstwerk geschaffen wurde. Im-
mer aber geht es darum, daß die Nation auch selbst ihr Kunstwerk als
nationales annimmt. In einer Welt, in der technische Zwänge die seelen-
lose Uniformität der Gegenstände durchsetzen, übernehmen Kunst-
werke mehr denn je die Aufgabe, den einzelnen Menschen ihre kultu-
relle Identität zurückzugeben, die ihnen erst ihre menschliche Existenz
ermöglicht. Kunstwerke sind wie die Sprachen zugleich Zeichen einer
"lx Vgl. Rödiger-Diruf, Zu Richard P. Bonington und zur Kunst im England des 18. Jahr-
hunderts, in: Katalog der Städtischen Galerie Karlsruhe im Prinz-Max-Palais „Richard
Parkes Bonington (1802-1828) - Paul Sandby - Wegbereiter der Aquarellmalerei“
1989, S. 19ff., 39ff.; Neil Walker, Richard Parkes Bonington 1802-1828, a.gl.O., S.
107 ff., 111 ff.
109 Jens Christian Jensen (Hrsg.), Anders Zorn 1860-1920, Kiel 1989, S.223 Nr. 30 u. 31.
110 Vgl. Werner Spies, Der seßhafte Nomade - Matisse in Marokko, Frankfurter Allge-
meine Zeitung 8. 8. 1990, Nr. 182, S. 21.
111 Alfred Lichtwark (1886-1914), der Leiter der Hamburger Kunsthalle, lud verschiedene
auswärtige Künstler ein, „Hamburg-Bilder“ zu malen. So kam mit Edouard Vuillard
auch Pierre Bonnard 1913 nach Hamburg. Beide Künstler malten Ansichten von der
Alster; vgl. Hentzen (Hrsg.), Hamburger Kunsthalle - Meisterwerke der Gemäldega-
lerie 1969, S. 13 sowie Abb. Nr. 328, 329, 331.