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Jayme, Erik; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 3. Abhandlung): Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz ; vorgetragen am 27. Oktober 1990 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48163#0034
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Erik Jayme

Wichtig ist es dabei für die Vermeidung von Streitfällen vor allem,
Modelle für Konfliktsituationen zu schaffen, in denen die Kriterien auf
verschiedene Nationen hinweisen.
XIX. Nationalität und Territorialität als Konflikt
Wir hatten gesehen, daß die Nationalität des Künstlers besonders be-
deutsam für eine solche Zuordnung sein kann. Auf der anderen Seite hat
man immer wieder eine territoriale Bindung des Kunstwerks angenom-
men.1"4 Es geht dabei um Kunstwerke, die sich in anderen Ländern be-
finden als in dem Herkunftsland des Künstlers. Das kann sich daraus
ergeben, daß der Künstler selbst für einen Auftraggeber gearbeitet hat
und das Kunstwerk sich deshalb in einem anderen Land befindet. So
malte Dürer das Rosenkranzfest im Auftrag seiner Landsleute 1506 für
San Bartolomeo, die Kirche der Deutschen in Venedig.104 105 Er übernahm
Bellinis Bildaufbau einer „Sacra Conversazione“; in der Landschaft
spürt man Anklänge an Bellinis Madonna degli Alberetti. Wölfflin
schreibt in seiner Dürer-Monographie im Hinblick auf das Christus-
Kind:106 „Dürer ist hier fast italienischer als die Italiener selber.“ Das
Bild wurde 1606 von Kaiser Rudolf II. für seine Galerie in Prag erwor-
ben. Hinge es heute noch in Venedig und nicht im Palais Sternberg in
Prag, so wäre es wohl rechtlich ein italienisches Bild. Selbst die Büste
der „Venere Italica“, die Canova dem Herzog von Wellington in dank-
barer Erinnerung an die Hilfe bei der Rückführung der Kunstwerke mit
einer Widmung versehen schenkte,107 ist rechtlich heute britisches Kul-
turgut.
Wenn aber Kunstwerke, die in anderen Ländern entstehen als dem
Herkunftsland des Künstlers nicht als Auftragswerke erscheinen, so
können sie doch wieder eher dem Heimatland des Künstlers zuzuordnen
sein. Nehmen wir die großen Aquarellisten: Richard Parkes Bonington

104 Vgl. Engstler, oben Note 10.
105 Wölfflin, Die Kunst Albrecht Dürers, 6. Aufl. (bearbeitet von Gerstenberg), Mün-
chen 1943, S. 175ff.
106 Wölfflin, vorige Note, S. 180: „Das Kind selbst ist in der Absicht geschaffen, reiche
Bewegung zu geben und zugleich den Körper in allen seinen Gliederungen klar zu
machen. Dürer ist hier fast italienischer als die Italiener selber.“
107 Vgl. Antonio d'Este, oben Note 58, S. 245; Malamani, oben Note 45, S. 219.
 
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