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Jayme, Erik; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 3. Abhandlung): Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz ; vorgetragen am 27. Oktober 1990 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48163#0020
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18

Erik Jayme

IX. Verschiedenheit von Herkunft und Bestimmungsort:
Canova in England
Noch schwieriger wird es, wenn Herkunft und legaler Aufbewah-
rungsort auf verschiedene Länder hindeuten. Der jüngste Streitfall be-
trifft die Statuengruppe der drei Grazien von Antonio Canova, deren
Export aus dem Vereinigten Königreich in die USA die britischen Be-
hörden verhinderten.44 Josephine Beauharnais hatte am 13. 6. 1813 die
Gruppe in Auftrag gegeben.45 Das Gipsmodell vollendete Canova in
Rom im August des gleichen Jahres. Die Ausführung in Marmor zog
sich bis 1816 hin, als die frühere Kaiserin schon gestorben und die Sterne
der Napoleoniden gesunken waren. So gelangten die „Drei Grazien“ an
den Herzog von Bedford nach England, in dessen Familie sie bis heute
blieben, ehe sie jetzt in die USA verkauft werden sollten. Canovas „Drei
Grazien“ spielen für Italien eine große Rolle; sie verwandelten eine an-
tike Statuengruppe in ein zeitgenössisches Pendant; eine Verbindung zu
den berühmten gleichzeitig entstandenen Gedichten Ugo Foscolos, den
„Grazie“, ist nicht auszuschließen.46 Auf der anderen Seite ist die Bezie-
hung zwischen England und Canova eine besondere. Hier hatte er wäh-
rend einer Reise nach London im Winter 1815 persönliche Triumphe
gefeiert.47 48 Später hatte Canova seine große Statue der „Religion“, als
keine römische Kirche sie aufnehmen wollte, nach England veräußert,
wo sie - von Canova selbst der päpstlichen Attribute entkleidet - in der
Pfarrkirche von Belton/Lincolnshire Aufstellung fand.45 Die Entschei-
44 Vgl. die Meldung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 18. 12. 1989 Nr. 293, S. 31
(„Ausfuhrstop“). Offenbar ist es gelungen, die für den Ankauf erforderliche Summe
zusammenzubringen; Comment, Heritage for Sale, in The Antique Collector, Juli
1990, S. 64 ff., 67. Vgl. auch das Editorial „Not so laissez-faire in 1993, in: Apollo-The
International Magazine of Arts 1990, S. 225 (Oktober 1990).
45 Vgl. hierzu und zum folgenden Vittorio Malamani, Canova, Ulrico Hoepli, Milano
1911, S. 225ff.
46 Vgl. die Hinweise bei Ottorino Stefani, La poetica e l’arte del Canova tra arcadia,
neoclassicismo e romanticismo, Treviso 1984, S. 123ff., 129ff.; vgl. auch Finn/Licht,
Antonio Canova - Beginn der modernen Skulptur, München 1983, S. 211. Die „drei
Grazien“ wurden als „ein besonders schönes Beispiel für ein vielansichtiges Werk“
angesehen; Lars Olaf Larsson, Von allen Seiten gleich schön - Studien zum Begriff der
Vielansichtigkeit in der europäischen Plastik von der Renaissance bis zum Klassizis-
mus, Stockholm 1974, S. 35 (unter Hinweis auf Cicognara und Quatremere de
Quincy).
47 Quatremere de Quincy, Canova et ses ouvrages ou Memoires historiques sur la vie et
les travaux de ce celebre artiste, 2. Aufl. Paris 1836, S. 284ff., 289-291.
48 Malamani, oben Note 45, S. 221 f.
 
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