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Erik Jayme
des Siegers, wie es über Jahrhunderte gegolten hatte, trat zurück. Um-
risse eines humanitären Kriegsvölkerrechts wurden sichtbar.67
Die Einzelheiten dieses für die Geschichte des internationalen Kul-
turgüterschutzes bahnbrechenden Ereignisses sind vielfach nachge-
zeichnet worden.68 Hier interessiert weniger die Rolle der Siegermächte
und die tatkräftige Hilfe des Herzogs von Wellington, der den Franzo-
sen - wie er an Lord Castlereagh am 23. 9. 1815 schrieb - eine „great
moral lesson“ erteilen wollte.69 Aufschlußreich sind die rechtspoliti-
schen Argumente, mit denen Canova in Noten, Briefen und Gesprächen
focht, denn - wie er Talleyrand gegenüber äußerte: „Le Pape n’a que des
raisons et des prieres.“70 Die Eigentumslage war dunkel, da die Abtre-
tung des Hauptteils der betroffenen Kunstwerke in einem Staatsvertrag
enthalten war. Immerhin ließ sich einwenden, daß der Vertrag von To-
lentino unter Zwang zustande gekommen und später von den Franzosen
durch die von ihnen erzwungene Abdankung Pius VI. gebrochen
wurde.71 Canova geht es aber vor allem um die Bewahrung der heimi-
schen Denkmäler und der antiken Traditionen sowie um die Möglich-
keit, die Kunstwerke an den Ort zurückkehren zu lassen, wo sie als Gan-
zes erst begreifbar werden und als Instrumente der Erziehung dienen
können.72 Es geht also um den „Ensembleschutz“, der noch heute einen
tragenden Gedanken des Kulturgüterschutzes darstellt.73 Als seine Ver-
67 Vgl. Canova, oben Note 56.
68 Antonio d’Este, oben Note 58, S. 198ff.; Giovanni Contarini, Canova a Parigi nel 1815
- Breve Studio storico condotto su documenti e manoscritti original! inediti, Feltre
1891.
Einen kleineren Teil der Kunstwerke ließ Canova in Paris zurück. Er erreichte da-
durch, daß diese von französischer Seite als „Geschenk“ bezeichnet wurden, die recht-
liche Anerkennung der Rückführung der anderen Kunstwerke durch Frankreich; vgl.
Missirini, oben Note 61, S. 389-391.
69 Museo Civico Bassano, Manoscritti Canoviani E22 5508: „Not only then would it, in
my opinion, be unjust in the Sovereign to qualify the people of France on this subject,
at the expense of their own people, but the sacrifice they would make, would be inpoli-
tical, as it would deprive them of the opportunity of giving the people of France a great
moral lesson.“
70 In der italienischen Übertragung bei Malamani, oben Note 45, S. 197: „Certamente io
dissi ehe il Papa non ha armi; Egli non ha ehe ragioni e preghiere“.
71 Vgl. hierzu und zum folgenden die „minuta autografa“ von Antonio Canova, Museo
Civico Bassano, Manoscritti Canoviani (E5 5591).
72 Canova, vorige Note.
73 Canova, oben Note 71: „La decomposition du Museum de Rome est la mort de toutes
les connaissances, dont son unite est le principe.“ Der Gegengedanken des „Musee
Napoleon“ war der eines chronologischen Museums, in dem sich die Gesamtge-
Erik Jayme
des Siegers, wie es über Jahrhunderte gegolten hatte, trat zurück. Um-
risse eines humanitären Kriegsvölkerrechts wurden sichtbar.67
Die Einzelheiten dieses für die Geschichte des internationalen Kul-
turgüterschutzes bahnbrechenden Ereignisses sind vielfach nachge-
zeichnet worden.68 Hier interessiert weniger die Rolle der Siegermächte
und die tatkräftige Hilfe des Herzogs von Wellington, der den Franzo-
sen - wie er an Lord Castlereagh am 23. 9. 1815 schrieb - eine „great
moral lesson“ erteilen wollte.69 Aufschlußreich sind die rechtspoliti-
schen Argumente, mit denen Canova in Noten, Briefen und Gesprächen
focht, denn - wie er Talleyrand gegenüber äußerte: „Le Pape n’a que des
raisons et des prieres.“70 Die Eigentumslage war dunkel, da die Abtre-
tung des Hauptteils der betroffenen Kunstwerke in einem Staatsvertrag
enthalten war. Immerhin ließ sich einwenden, daß der Vertrag von To-
lentino unter Zwang zustande gekommen und später von den Franzosen
durch die von ihnen erzwungene Abdankung Pius VI. gebrochen
wurde.71 Canova geht es aber vor allem um die Bewahrung der heimi-
schen Denkmäler und der antiken Traditionen sowie um die Möglich-
keit, die Kunstwerke an den Ort zurückkehren zu lassen, wo sie als Gan-
zes erst begreifbar werden und als Instrumente der Erziehung dienen
können.72 Es geht also um den „Ensembleschutz“, der noch heute einen
tragenden Gedanken des Kulturgüterschutzes darstellt.73 Als seine Ver-
67 Vgl. Canova, oben Note 56.
68 Antonio d’Este, oben Note 58, S. 198ff.; Giovanni Contarini, Canova a Parigi nel 1815
- Breve Studio storico condotto su documenti e manoscritti original! inediti, Feltre
1891.
Einen kleineren Teil der Kunstwerke ließ Canova in Paris zurück. Er erreichte da-
durch, daß diese von französischer Seite als „Geschenk“ bezeichnet wurden, die recht-
liche Anerkennung der Rückführung der anderen Kunstwerke durch Frankreich; vgl.
Missirini, oben Note 61, S. 389-391.
69 Museo Civico Bassano, Manoscritti Canoviani E22 5508: „Not only then would it, in
my opinion, be unjust in the Sovereign to qualify the people of France on this subject,
at the expense of their own people, but the sacrifice they would make, would be inpoli-
tical, as it would deprive them of the opportunity of giving the people of France a great
moral lesson.“
70 In der italienischen Übertragung bei Malamani, oben Note 45, S. 197: „Certamente io
dissi ehe il Papa non ha armi; Egli non ha ehe ragioni e preghiere“.
71 Vgl. hierzu und zum folgenden die „minuta autografa“ von Antonio Canova, Museo
Civico Bassano, Manoscritti Canoviani (E5 5591).
72 Canova, vorige Note.
73 Canova, oben Note 71: „La decomposition du Museum de Rome est la mort de toutes
les connaissances, dont son unite est le principe.“ Der Gegengedanken des „Musee
Napoleon“ war der eines chronologischen Museums, in dem sich die Gesamtge-