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Wolfgang Raible
4. Rekursivität. Rekursivität - also die Anwendung eines gestaltbil-
denden Prinzips nicht nur an einer Stelle, sondern seine Wieder-
holung an untergeordneter Position - kommt nicht nur in der
Sprache (etwa in Form eingebetteter Sätze) vor. Jeder, der etwa
bestimmte Farnarten betrachtet hat, hat eine anschauliche Vor-
stellung davon, daß Rekursivität auch zu den Strategien der
Genesis gehört. Indirekt wird der Vorteil dort deutlich, wo man
eine Annäherung an solche „Farne“, bei denen sich dasselbe
Bauprinzip auf den Hierarchiestufen von oben nach unten wie-
derholt, in einem Computerprogramm simuliert: Es gibt näm-
lich, wenn in einer Programmiersprache rekursive Strukturen
implementiert sind, für den Programmierer kaum etwas Ökono-
mischeres als ein solches fraktales Programm.
Die besondere Wirkung homöotischer Gene dürfte damit
Zusammenhängen, daß an verschiedenen Stellen des morphoge-
netischen Prozesses zumindest ähnliche oder strukturell ver-
wandte Formen gebildet werden. In der Tat gibt es in dieser Hin-
sicht etwa Homologien zwischen den Beinen der Drosophila und
ihren Fühlern52. Ein Sonderfall der Rekursivität ist die Repeti-
tion modularer Strukturen auf derselben Hierarchieebene. Daß
dies eines der wichtigsten Bauprinzipien ist, zeigt sich nicht nur
im makroskopischen Bereich, sondern beispielsweise auch in der
modularen Struktur des Rückenmarks oder unserer Gehirn-
rinde.
oder, noch nicht bei Lawrence zitiert, Tautz 1992 (Hinweis von Klaus Sander).
Tautz verwendet hauptsächlich das Beispiel, daß die Aktivierung des Droso-
phila-Gsns „Krüppel“ verhindert wird nicht nur durch eine hohe Konzentration
der Produkte der Gene „bicoid“ und „hunchback“, sondern auch durch die
Anwesenheit von Produkten der Gene „giant“ und „tailless“ - Besonders
instruktiv in diesem Zusammenhang ist der Bericht, den Herbert Jäckle über
die Arbeit der Abteilung „Molekulare Entwicklungsbiologie“ des Max-Planck-
Instituts für Biophysikalische Chemie in Göttingen für das Jahr 1990 gegeben
hat (Jäckle 1991). Er macht schön die hierarchischen und synergetischen Pro-
zesse deutlich, die in der frühen Morphogenese der Drosophila bei der Aktivie-
rung von Genen ablaufen.
52 Abgesehen davon, daß in beiden Fällen wieder ein Gradient für die Ausbildung
der unterschiedlichen Segmente in Abhängigkeit von ihrer Position sorgt (vgl.
Lawrence 1992: 150-152 [„Growth and gradients“]), gibt es beim Fühler durch-
aus Homologien zur Hüfte und zum Schenkelring auf der einen und zu den
Krallen am anderen Ende eines Drosophila-^evcts. Nur Schenkel, Bein und Fuß-
glieder fallen in einem weiteren Teil des Fühleransatzes zusammen.
Wolfgang Raible
4. Rekursivität. Rekursivität - also die Anwendung eines gestaltbil-
denden Prinzips nicht nur an einer Stelle, sondern seine Wieder-
holung an untergeordneter Position - kommt nicht nur in der
Sprache (etwa in Form eingebetteter Sätze) vor. Jeder, der etwa
bestimmte Farnarten betrachtet hat, hat eine anschauliche Vor-
stellung davon, daß Rekursivität auch zu den Strategien der
Genesis gehört. Indirekt wird der Vorteil dort deutlich, wo man
eine Annäherung an solche „Farne“, bei denen sich dasselbe
Bauprinzip auf den Hierarchiestufen von oben nach unten wie-
derholt, in einem Computerprogramm simuliert: Es gibt näm-
lich, wenn in einer Programmiersprache rekursive Strukturen
implementiert sind, für den Programmierer kaum etwas Ökono-
mischeres als ein solches fraktales Programm.
Die besondere Wirkung homöotischer Gene dürfte damit
Zusammenhängen, daß an verschiedenen Stellen des morphoge-
netischen Prozesses zumindest ähnliche oder strukturell ver-
wandte Formen gebildet werden. In der Tat gibt es in dieser Hin-
sicht etwa Homologien zwischen den Beinen der Drosophila und
ihren Fühlern52. Ein Sonderfall der Rekursivität ist die Repeti-
tion modularer Strukturen auf derselben Hierarchieebene. Daß
dies eines der wichtigsten Bauprinzipien ist, zeigt sich nicht nur
im makroskopischen Bereich, sondern beispielsweise auch in der
modularen Struktur des Rückenmarks oder unserer Gehirn-
rinde.
oder, noch nicht bei Lawrence zitiert, Tautz 1992 (Hinweis von Klaus Sander).
Tautz verwendet hauptsächlich das Beispiel, daß die Aktivierung des Droso-
phila-Gsns „Krüppel“ verhindert wird nicht nur durch eine hohe Konzentration
der Produkte der Gene „bicoid“ und „hunchback“, sondern auch durch die
Anwesenheit von Produkten der Gene „giant“ und „tailless“ - Besonders
instruktiv in diesem Zusammenhang ist der Bericht, den Herbert Jäckle über
die Arbeit der Abteilung „Molekulare Entwicklungsbiologie“ des Max-Planck-
Instituts für Biophysikalische Chemie in Göttingen für das Jahr 1990 gegeben
hat (Jäckle 1991). Er macht schön die hierarchischen und synergetischen Pro-
zesse deutlich, die in der frühen Morphogenese der Drosophila bei der Aktivie-
rung von Genen ablaufen.
52 Abgesehen davon, daß in beiden Fällen wieder ein Gradient für die Ausbildung
der unterschiedlichen Segmente in Abhängigkeit von ihrer Position sorgt (vgl.
Lawrence 1992: 150-152 [„Growth and gradients“]), gibt es beim Fühler durch-
aus Homologien zur Hüfte und zum Schenkelring auf der einen und zu den
Krallen am anderen Ende eines Drosophila-^evcts. Nur Schenkel, Bein und Fuß-
glieder fallen in einem weiteren Teil des Fühleransatzes zusammen.