Sprachliche Texte - Genetische Texte
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Ein grundlegender Unterschied ist jedoch nicht zu überse-
hen. Er kann in zweifacher Weise ausgedrückt werden:
- Ein Strukturbaum für einen Satz beginnt mit dem Ganzen, etwa
dem Symbol S für den „Satz“. Er wird dargestellt als etwas, das,
etwa durch Ersetzungsregeln, nach und nach in immer kleinere
Teilganze zerlegt werden kann - in kategoriale, nicht materielle
Teilganze, denen schließlich „Wörter“ (oder, falls nötig, die noch
kleineren Bausteine der 1. Artikulation) zugeordnet werden. Der
morphogenetische Baum wäre dem nur äquivalent, wenn an
seinem Ursprung ebenfalls das (fertige) Ganze stehen würde,
gefolgt von den immer kleiner werdenden Teilganzen, aus denen
es aufgebaut ist. Am Anfang steht jedoch eine einzige Zelle, die
freilich das Programm für ein mögliches Ganzes enthält. Dieses
anfänglich einzige Zell-Element teilt sich in immer mehr Zellen
auf. Sie sind die materiell stets vorhandenen und sich materiell
stets differenzierenden und vermehrenden Teile eines Ganzen,
das erst entstehen muß.
- Das im vorhergehenden Punkt Ausgeführte kann man auch
anders formulieren: Im Falle der Morphogenese ist der schließ-
lich aus der „Lektüre“ des Genoms entstandene „Phänotyp“ die
Botschaft (vgl. 8.1). Im Fall der sprachlichen Kommunikation
muß der Rezipient die Botschaft (den „Sinn“) jedoch erst dem
Text entnehmen - in einem Prozeß, der im Prinzip genau spiegel-
bildlich zu dem angelegt ist, der zur Generierung einer Wortkette
oder eines Satzes führt. Dies ist eine Folge des oben in 6.3 darge-
legten grundlegenden Unterschieds zwischen der Verarbeitung
des genetischen und des sprachlichen Codes.
Analog in beiden Arten von Baumgraphen ist das zugrundelie-
gende Prinzip der Hierarchie77.
8.3 Betrachtung auf der Ebene einer einzelnen Zelle
Bei der folgenden Konzeptualisierung begibt man sich auf die
Ebene einer einzelnen Zelle.
fred Eigen und Ruthild Winkler gehen in ihrem Vergleich mit der Generativen
Grammatik nicht ganz so weit Vgl. Eigen/Winkler 1987: 30lf., 313f.).
77 Ein weiteres Problem bei dieser Art der Konzeptualisierung ist darin zu sehen,
daß es sich um typisch satzgrammatische Ansätze handelt, nicht um textgram-
matische. Sie beanspruchen also nur für Teilbereiche der Sprache Geltung.
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Ein grundlegender Unterschied ist jedoch nicht zu überse-
hen. Er kann in zweifacher Weise ausgedrückt werden:
- Ein Strukturbaum für einen Satz beginnt mit dem Ganzen, etwa
dem Symbol S für den „Satz“. Er wird dargestellt als etwas, das,
etwa durch Ersetzungsregeln, nach und nach in immer kleinere
Teilganze zerlegt werden kann - in kategoriale, nicht materielle
Teilganze, denen schließlich „Wörter“ (oder, falls nötig, die noch
kleineren Bausteine der 1. Artikulation) zugeordnet werden. Der
morphogenetische Baum wäre dem nur äquivalent, wenn an
seinem Ursprung ebenfalls das (fertige) Ganze stehen würde,
gefolgt von den immer kleiner werdenden Teilganzen, aus denen
es aufgebaut ist. Am Anfang steht jedoch eine einzige Zelle, die
freilich das Programm für ein mögliches Ganzes enthält. Dieses
anfänglich einzige Zell-Element teilt sich in immer mehr Zellen
auf. Sie sind die materiell stets vorhandenen und sich materiell
stets differenzierenden und vermehrenden Teile eines Ganzen,
das erst entstehen muß.
- Das im vorhergehenden Punkt Ausgeführte kann man auch
anders formulieren: Im Falle der Morphogenese ist der schließ-
lich aus der „Lektüre“ des Genoms entstandene „Phänotyp“ die
Botschaft (vgl. 8.1). Im Fall der sprachlichen Kommunikation
muß der Rezipient die Botschaft (den „Sinn“) jedoch erst dem
Text entnehmen - in einem Prozeß, der im Prinzip genau spiegel-
bildlich zu dem angelegt ist, der zur Generierung einer Wortkette
oder eines Satzes führt. Dies ist eine Folge des oben in 6.3 darge-
legten grundlegenden Unterschieds zwischen der Verarbeitung
des genetischen und des sprachlichen Codes.
Analog in beiden Arten von Baumgraphen ist das zugrundelie-
gende Prinzip der Hierarchie77.
8.3 Betrachtung auf der Ebene einer einzelnen Zelle
Bei der folgenden Konzeptualisierung begibt man sich auf die
Ebene einer einzelnen Zelle.
fred Eigen und Ruthild Winkler gehen in ihrem Vergleich mit der Generativen
Grammatik nicht ganz so weit Vgl. Eigen/Winkler 1987: 30lf., 313f.).
77 Ein weiteres Problem bei dieser Art der Konzeptualisierung ist darin zu sehen,
daß es sich um typisch satzgrammatische Ansätze handelt, nicht um textgram-
matische. Sie beanspruchen also nur für Teilbereiche der Sprache Geltung.