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2. DER NEWE GLAUB
schrifft darumb oder Apostolische tradition? Oder gilt es also, alle mal newe
articul zu vnserem glauben thün? So hette doch der Herre vnnd die heiligen
Apostel den Christlichen glauben nitt gantz gelehret. Von dem gedicht der
verhaltenen1 peenen nach verzei- I Kija I hung der sünden ist oben gesaget im
vj. Articul.2
Die alten haben bei den Leichen vnd gedechtnüssen der todten auch Gotts
versamlungen, gepett vnnd almüsen gehalten, den todten auch vmb die ewige
ruw gebetten. Das aber alles nit, jnen aus dem Fegfewr (dauon sie gar nichs
gewiße3) in himmel zü helffen - Dann sie dem Herren da gedancket haben,
das er solche schon in himmel hat aufgenomen -, Sonder das alles haben sie
gethon, die lebendigen damit zü besseren durch ernste erinnerung der sün-
den, des strengen gerichts Gottes wider die sünde vnnd der seligen auffer-
stündnüs.3 Daher auch noch heuttigs tags in den gemeinen todten ampteren,
Vigilien4 genant, kein wort vom Fegfewr, aber alles von schwere der sünden,
vom strengen gericht Gottes, von ewiger verdamnüs vnd von der seligen auff-
erstandnüs vnd ewigem leben meldet. »Libera me Domine«, singen sie, »a
morte aeterna in die illa tremenda« etc.5, nitt: ex purgatorio.6 Aber was di-
sen leüthen jr achtung hoch vnnd jr handwerck güt machet, das müß ein Arti-
cul des glaubens sein.
Du halt dich des spruchs vnsers hfeiligen] Jesu Christi: »Warlich, warlich
sag ich eüch, wer mein wort horet vnd glaubet dem, der mich gesandt hat, der
hatt das ewig leben vnnd kompt nit in das gerichte, sonder ist vom tod zum
leben hindurch getrungen«, Johannis. 5[24]. Komen nun, die vnserem h[eili-
gen] Christo glauben, nit ins gericht, sonder sind schon vom tod zum leben
hindurch getrungen, wa bleibt dann das gericht des Fegfewrs?
I Kijb I Der zwen vnd dreissigst Louische Articul
Es ist dugetsam6, das man Gott gelübte thüt, es sei in klosteren oder auff
ander weiß; vnd als die selbige geschehen seind, verbinden7 sie den selbigen,
der sie gelobt hat, vor Got. Vnd die seind nicht wider die Euangelische frei-
a) gewißt: BC.
b) tugetsam: B; tugendsam: C.
1. zurückgehaltenen; zurückbleibenden.
2. S. oben S. 63—66.
3. Vgl. Ps.-Dionysius Areopagita, De ecclesiastica hierarchia VII, 3, 6 (PG 3, Sp. 577); Au-
gustinus, Confessiones IX, 13,3 jf. (PL 32, SP.778L; Bernhart, S. 478-480).
4. nächtliche Gebetswachen; vgl. LThK3 10, Sp. 785 f. Hier sind speziell die Totenwachen
gemeint.
5. Es handelt sich um das Responsorium des Totenoffiziums; ed. CAO 4, Nr. 7091,
S.271.
6. Vgl. auch Bucer, Entwurf für den Vortrag der Prediger auf dem Molsheimer Tag, 1542
(ARC 4, Nr. 35, S. 175).
7. binden morahsch; verpflichten. Grimm 25 (= XII, 1), Sp. 188.
2. DER NEWE GLAUB
schrifft darumb oder Apostolische tradition? Oder gilt es also, alle mal newe
articul zu vnserem glauben thün? So hette doch der Herre vnnd die heiligen
Apostel den Christlichen glauben nitt gantz gelehret. Von dem gedicht der
verhaltenen1 peenen nach verzei- I Kija I hung der sünden ist oben gesaget im
vj. Articul.2
Die alten haben bei den Leichen vnd gedechtnüssen der todten auch Gotts
versamlungen, gepett vnnd almüsen gehalten, den todten auch vmb die ewige
ruw gebetten. Das aber alles nit, jnen aus dem Fegfewr (dauon sie gar nichs
gewiße3) in himmel zü helffen - Dann sie dem Herren da gedancket haben,
das er solche schon in himmel hat aufgenomen -, Sonder das alles haben sie
gethon, die lebendigen damit zü besseren durch ernste erinnerung der sün-
den, des strengen gerichts Gottes wider die sünde vnnd der seligen auffer-
stündnüs.3 Daher auch noch heuttigs tags in den gemeinen todten ampteren,
Vigilien4 genant, kein wort vom Fegfewr, aber alles von schwere der sünden,
vom strengen gericht Gottes, von ewiger verdamnüs vnd von der seligen auff-
erstandnüs vnd ewigem leben meldet. »Libera me Domine«, singen sie, »a
morte aeterna in die illa tremenda« etc.5, nitt: ex purgatorio.6 Aber was di-
sen leüthen jr achtung hoch vnnd jr handwerck güt machet, das müß ein Arti-
cul des glaubens sein.
Du halt dich des spruchs vnsers hfeiligen] Jesu Christi: »Warlich, warlich
sag ich eüch, wer mein wort horet vnd glaubet dem, der mich gesandt hat, der
hatt das ewig leben vnnd kompt nit in das gerichte, sonder ist vom tod zum
leben hindurch getrungen«, Johannis. 5[24]. Komen nun, die vnserem h[eili-
gen] Christo glauben, nit ins gericht, sonder sind schon vom tod zum leben
hindurch getrungen, wa bleibt dann das gericht des Fegfewrs?
I Kijb I Der zwen vnd dreissigst Louische Articul
Es ist dugetsam6, das man Gott gelübte thüt, es sei in klosteren oder auff
ander weiß; vnd als die selbige geschehen seind, verbinden7 sie den selbigen,
der sie gelobt hat, vor Got. Vnd die seind nicht wider die Euangelische frei-
a) gewißt: BC.
b) tugetsam: B; tugendsam: C.
1. zurückgehaltenen; zurückbleibenden.
2. S. oben S. 63—66.
3. Vgl. Ps.-Dionysius Areopagita, De ecclesiastica hierarchia VII, 3, 6 (PG 3, Sp. 577); Au-
gustinus, Confessiones IX, 13,3 jf. (PL 32, SP.778L; Bernhart, S. 478-480).
4. nächtliche Gebetswachen; vgl. LThK3 10, Sp. 785 f. Hier sind speziell die Totenwachen
gemeint.
5. Es handelt sich um das Responsorium des Totenoffiziums; ed. CAO 4, Nr. 7091,
S.271.
6. Vgl. auch Bucer, Entwurf für den Vortrag der Prediger auf dem Molsheimer Tag, 1542
(ARC 4, Nr. 35, S. 175).
7. binden morahsch; verpflichten. Grimm 25 (= XII, 1), Sp. 188.