Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2005 — 2006

DOI chapter:
I. Das Geschäftsjahr 2005
DOI chapter:
Darstellung der Arbeiten der Preisträger
DOI chapter:
Walter-Witzenmann-Preis
DOI article:
Tumat, Antje: Dichterin und Komponist: Ästhetik und Dramaturgie in Ingeborg Bachmanns und Hans Werner Henzes "Der Prinz von Homburg"
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.67593#0038
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
21. Mai 2005 | 51

WALTER-WITZEN MANN-PREIS
Antje Tumat: „Ästhetik und Dramaturgie in Ingeborg Bachmanns und Hans Werner
Henzes Prinz von Homburg“
Der Komponist Hans Werner Henze und die Autorin Ingeborg Bachmann, beide
1926 geboren, hatten sich 1952 bei einer Tagung der Gruppe 47 kennengelernt.
Seitdem hat sie vor allem das Anliegen, mit ihrer Kunst gesellschaftlich wirken zu
können, weit über em Jahrzehnt hinaus in einer außergewöhnlich fruchtbaren
Zusammenarbeit verbunden.
Die musikalische Nachkriegsavantgarde war vor allem durch die Erfahrung des
Nationalsozialismus geprägt. Für sie waren die Mittel sprachlichen und musikali-
schen Ausdrucks durch den Missbrauch des NS-Regimes besetzt. So war aus der
Sicht der Komponisten vor allem die Tonsprache etwa von Richard Wagner, Anton
Brücker oder Franz Liszt untrennbar mit der faschistischen Vergangenheit verknüpft,
unter anderem durch die Inanspruchnahme der Nazis von konkreten Stücken in
Situationen des öffentlichen Lebens. Diesem daher „verbrauchten“ Material begeg-
neten viele Komponisten mit Misstrauen; sie schienen sich folglich von jeglicher
subjektiver Ausdrucksgeste abzuwenden. Anders gestaltete sich die poetisch-musika-
lische Herangehensweise von Bachmann und Henze. Auch ihnen ging es um Ver-
gangenheitsbewältigung nach 1945, sie setzten sich allerdings für einen ungebroche-
nen Anschluss an die klassische Moderne ein, um mit ihrer Kunst ebenjene direkte
gesellschaftliche Wirkung entfalten zu können. Gerade Henzes musiksprachliche,
ausdrucksorientierte Ästhetik bemüht sich um Kommunikation mit dem Publikum
durch ihren starken Bezug zur Tradition. Ein Zeugnis dessen ist die 1960 uraufge-
führte Oper Der Prinz von Homburg nach Heinrich von Kleist, zu der Bachmann das
Libretto schrieb und Henze die Musik.
Diese Konstellation kann nur aus interdisziplinärer Perspektive begriffen wer-
den: Methodisch wendet sich die Untersuchung dieser Nachkriegsoper nicht nur an
die noch junge Librettoforschung in den Literaturwissenschaften, sondern auch an
die Opernforschung in der Musikwissenschaft: Die Analyse von Operntexten, die
sogenannte Librettoforschung, steht als junge Disziplin noch am Anfang und hatte
bisher keine konsequente, überzeugende Methodik vorzuweisen; eine solche wird
anhand von Bachmanns und Henzes gemeinsamer Oper in dieser Dissertation ent-
wickelt.
Bei der Betrachtung der bisherigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit
dem Libretto bietet sich folgendes Bild: Zuerst wurde der Operntext als nichtlitera-
rische Gattung von der Musikwissenschaft nahezu ausschließlich als Rahmen für die
Musik und damit nur marginal betrachtet. Vergleichbar verfuhr auch die Literatur-
wissenschaft: Auch hier schienen Operntexte wegen ihrer angeblich geringen litera-
rischen Qualität zunächst nicht erforschenswert. Doch seit rund zwei Jahrzehnten
findet in dieser Hinsicht ein allmählicher Perspektivenwechsel statt, mit dem die
‘Entdeckung’ der Operntexte für die Literaturwissenschaft verbunden ist. 1998
wurde die erste zusammenfassende literaturwissenschaftliche Darstellung des Libret-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften