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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2005 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2005
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Darstellung der Arbeiten der Preisträger
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Walter-Witzenmann-Preis
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Tumat, Antje: Dichterin und Komponist: Ästhetik und Dramaturgie in Ingeborg Bachmanns und Hans Werner Henzes "Der Prinz von Homburg"
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https://doi.org/10.11588/diglit.67593#0039
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JAHRESFEIER

tos als Gattung publiziert, die ihrerseits aber die Bedeutungsdimension der Musik
wiederum völlig außer Acht läßt. Seitdem sind von literaturwissenschaftlicher Seite
viele Arbeiten zur Librettoforschung entstanden, die sich allerdings durchgehend
ausschließlich mit dem Text beschäftigen. Nun kann aber ein Text, der auf das
Zusammenwirken mehrerer Medien hin konzipiert ist, nicht ohne Einbeziehung
aller Bedeutungsebenen, also Text, Musik und Szene, untersucht werden. Opern-
texte sind fast immer von vorneherein so angelegt, dass sie Bedeutungsräume für die
später hinzutretende Musik in sich tragen. Das Libretto ist also kein eigenständiges
Werk, sondern ein Teil des Kunstwerks Oper — eine Textvorlage zur Vertonung — und
bedarf folglich einer interdisziplinären Herangehensweise.
In Ingeborg Bachmanns Nachlass liegen zahlreiche, teilweise bisher unbekann-
te Dokumente ihrer Librettoästhetik, in denen die Librettistin die im methodischen
Teil der Arbeit allgemein formulierten Thesen zur Poetologie eines Librettos
bestätigt: Die Operntextautorin begreift ihre Libretti selbst immer wieder als auf ver-
schiedene Art und Weise unfertige Texte, die erst zusammen mit der Musik zu einem
vollständigen Werk werden. Weitere musikästhetische Texte Bachmanns, deren
musikhistorische Implikationen bisher von der Germanistik nicht erfasst wurden,
erhalten — vor dem Hintergrund der Diskussionen um die Avantgarde der Neuen
Musik in den 1950er Jahren gelesen — völlig neue Dimensionen. Bachmann erweist
sich hier als Kennerin der aktuellen kompositionstechnischen Debatten ihrer Zeit:
Sie erörtert das Problem von Vertonungen im traditionellen Sinne im Kontext der
damals aktuellen elektronischen und seriellen Musik.
Der Hauptteil der Arbeit beschäftigt sich mit der Analyse der Henze-Bach-
mann-Oper. Sie geht dem dreifachen Rezeptionsschritt Stoff-Libretto-Musik-Szene
entsprechend, zunächst von den ambivalenten Rezeptionsmöglichkeiten der Kleist-
schen Stoffvorlage aus. Prinz Friedrich von Homburg war vor allem im Wilhelmimsmus
und der Zeit des Nationalsozialismus politischem Missbrauch ausgesetzt, barg daher
bei seinen Wiederaufführungen nach 1945 starken politischen Sprengstoff in sich. In
Bachmanns Libretto findet eine starke inhaltliche Akzentverschiebung vom Militäri-
schen zum Humanen statt. In der spezifischen Rezeptionssituation um 1960, in der
für viele Zuschauer das Kleist-Drama noch mit den verfälschenden Inszenierungen
der NS-Zeit im Sinne der Führerideologie verknüpft war, erscheint diese Verschie-
bung unumgänglich — schon die Stoffwahl an sich stellte ein Politikum dar. Der
Komponist interpretiert das Libretto seinerseits in der Anordnung des musikalischen
Materials: Er gestaltet zwei kontrastierende Welten in seiner Musik, fast alle Kompo-
sitionstechniken werden vorrangig im Dienste dieses Dualismus’ eingesetzt. Dies
geschieht auch durch den einem Autorkommentar vergleichbaren Einsatz von Ton-
artencharakteristik oder Motivdurchführungen durch die Oper. Gleichzeitig lässt
sich anhand der musikalischen Analyse Henzes Positionierung zu den damals aktu-
ellen musikästhetischen Debatten erkennen: Er weist Kompositionstechniken — etwa
im Klangbild des Serialismus — oder aber tonale Relikte durch das Erklingen in
bestimmten szenischen Kontexten spezifischen Personengruppen oder „Welten“ zu.
Die Welt der träumerischen Identifikationsfigur Prinz Friedrich wird mit sanglicher,
melismatischer, traditionsverbundener Musik ausgestattet — die des Gesetzes unter
 
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