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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2005 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2005
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 18. Februar 2005
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Weinfurter, Stefan: Eine "gratiale Herrschaftsordnung" im Mittelalter?
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https://doi.org/10.11588/diglit.67593#0050
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18. Februar 2005 | 63

Sie waren es, die den übermächtigen Herzog, der über die Herzogtümer Sachsen
und Bayern verfügte, zum Sturz brachten. Der letzte Akt fand 1181 auf einem Hof-
tag in Erfurt statt. Dort blieb dem Herzog nichts anderes mehr, als sich vor dem Kai-
ser zu Boden zu werfen und seine Gnade zu erbitten. Friedrich Barbarossa aber, so
erfahren wir, habe ihn vom Boden aufgehoben und beteuert, er könne Heinrich
nicht wieder in seine frühere Stellung bringen, denn er habe den Fürsten einen Eid
schwören müssen, ohne ihre Zustimmung ihn nicht zu begnadigen. So verlor Hein-
rich der Löwe seine Reichslehen und mußte das Land verlassen.
Zum ersten Mal treffen wir hier auf eine derartige Beschränkung, die es dem
Herrscher verbot, sein Gnadenrecht zur Anwendung zu bringen. Er war von nun an
an den Konsens der Fürsten gebunden. Diese Beobachtung stimmt überein mit
einem ganz allgemeinen Prozeß, bei dem Amtsträger oder Herrschaftsträger immer
stärker vom Konsens derer abhängig waren, auf die sie sich stützten. Bischöfe, so zeigt
sich seit dem 12. Jahrhundert, konnten nicht mehr ohne Zustimmung ihrer Dom-
herren entscheiden. Abte benötigten die Zustimmung ihres Konvents. Die mächti-
gen Herren waren vom Konsens ihrer Dienstmannen (Ministerialen) abhängig. Die
Könige wie die Kaiser waren schon seit jeher auf die Zustimmung und die Folge-
bereitschaft der Fürsten des Reiches angewiesen. Aber jetzt, im späteren 12. Jahr-
hundert, wurde auch das herrscherliche „Instrument“ der Gnade davon erfaßt. Der
König war nun nicht mehr ohne weiteres berechtigt, em Urteil von fürstlichen Stan-
desgenossen in „Staatsangelegenheiten“ aufzuheben oder zu mildern.
Gleichzeitig, so sehen wir, änderte sich das Ideal der Herrschertugend. Schon
bei Friedrich Barbarossa konnte der Chronist Otto von Freising hervorheben, dass
er, als er 1152 zur Krönung in die Kirche schritt, einen um Gnade Flehenden der
gerechten Strafe überließ. Die „ganze Härte der Gerechtigkeit“ (rigor iustitiae') habe
er zur Anwendung gebracht und sei damit allen ein Beispiel gewesen. Die Ordnung
in der Gesellschaft und im „Staatswesen“ sollte nach dem Recht erfolgen, so wurde
damit zum Ausdruck gebracht. Die „Ehre“ des Königs wurde nicht mehr von der
Gnade begründet, sondern vom Recht und seiner strengen Durchsetzung. Zu
Beginn des 13. Jahrhunderts treffen wir bereits auf die ersten Versuche gesetzlicher
Grundregelungen in verschiedenen Reichen (Reichsgesetze, Magna Charta, Konsti-
tutionen von Melfi).
Diese Entwicklung ging einher mit der veränderten Legitimierung des Herr-
schers. Seit dem Investiturstreit im späteren 11. und beginnenden 12. Jahrhundert
wurde ihm die Stellvertreterschaft des himmlischen Königs auf Erden bestritten. Von
kirchlicher Seite wies man seinen Anspruch, für Kirche und Welt zuständig zu sein,
zurück. Ihm wurde nur noch zugebilligt, das „Haupt des weltlichen Bereichs“ (caput
in temporalibus') zu sein. Damit verlor er auch die Autorität, an Stelle Gottes Gnade
walten zu lassen.
Den herrscherlichen Gnadenerweis gab es freilich auch weiterhin, doch er
änderte seine Funktion. „Gnade“ verengte sich zum Gunsterweis oder zu einer ge-
regelten humanitären Geste bei der Todesstrafe. Damit blieb sie auch künftig em
wichtiges Instrument in der Hand des Herrschers, aber sie stellte nicht mehr das
Wesen seines Amtes dar. Mit ihr wurde nun nicht mehr das Gesamtsystem der gesell-
 
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