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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2005 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2005
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Wissenschaftliche Sitzungen
DOI Kapitel:
Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 29. April 2005
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Stürner, Rolf: Europäische Medienfreiheit und nationale Medienkultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.67593#0059
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SITZUNGEN

Fortentwicklung wacht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straß-
burg, indem er auf die Menschenrechtsbeschwerde betroffener Bürger oder Medien
Persönlichkeitsrecht und Medienfreiheit im Lichte menschenrechtlicher Garantien
gegeneinander abwägt. Diese Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte fuhrt auf diese Weise zwar nicht zu einer strengen Vereinheitlichung
des europäischen Medienrechts, aber doch zu einer Harmonisierung, die nationale
Medienrechte und Medienkulturen allmählich oder schleichend zu verändern in der
Lage ist. Mit dieser Tatsache ist jüngst auch die deutsche Rechtskultur konfrontiert
worden.
Das Bundesverfassungsgericht hatte auf Beschwerde von Caroline von Monaco
darüber zu entscheiden, inwieweit ihre „äußere Privatsphäre“ vor Bildnisaufnahmen
geschützt sei, also wenn die Prinzessin reite, stürze, in Begleitung einkaufe etc. Das
Bundesverfassungsgericht hat den Schutz der Privatsphäre prominenter Personen auf
die engere Privatsphäre (häuslicher Bereich, Orte der Abgeschiedenheit) beschränkt
und so der Medienfreiheit weiten Raum gewährt. Demgegenüber hat der Europäi-
sche Gerichtshof für Menschenrechte betont, dass ohne nachvollziehbares öffent-
liches Informationsinteresse eine einwilligungslose Bildberichterstattung nicht recht-
mäßig sei, auch weil die Rechtsordnung die Dauerverfolgung von Prominenten
durch Paparazzi als typische Folgeerscheinung und tiefgreifende Störung des Privat-
lebens nicht hinnehmen dürfe. In gewisser Weise ändert diese Entscheidung die Para-
meter der Arbeit vor allem von Unterhaltungsmedien. Häufiger als bisher müssen sie
um Einwilligung nachfragen und gegebenenfalls Entgelte bezahlen, wenn Bildbe-
richte veröffentlicht werden sollen, für die ein qualitativ begründbares öffentliches
Informationsinteresse nicht besteht. Auch das Argument „Einmal öffentlich — stets
öffentlich“, wie es das Bundesverfassungsgericht gerne benützt hat, verliert ange-
sichts dieser Entwicklung an Bedeutung.
Stilles Vorbild der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Men-
schenrechte mögen das französische Recht und die französische Medienkultur sein.
Sie zeigten in vielen Bereichen Parallelentwicklungen zu Deutschland, schützen aber
im Bildnisbereich das „droit de la vie privee“ auch prominenter Persönlichkeiten
stärker als das deutsche Recht — übrigens ohne dass die freiheitliche Medienkultur
Schaden genommen hätte. Das englische Recht musste die letzten 30 Jahre gewich-
tige Korrekturen verarbeiten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat
die Medienfreiheit gegenüber Beschränkungen der Gerichtsberichterstattung ent-
scheidend erweitert und die Contempt-of-Court Praxis des traditionsreichen House
of Lords im Ergebnis revolutioniert. Umgekehrt hat er dem englischen Recht auch
aufgegeben, den Schutz der Privatsphäre vor Bildaufnahmen zu verbessern, der im
englischen Recht schlecht ausgebildet war. Die englische Rechtskultur hat — mit
dem House of Lords an der Spitze - die Straßburger Korrekturen vorbildlich in das
Rechtssystem integriert, wiewohl Englands Medienkultur auf eine lange ununter-
brochene freiheitliche Tradition zurückblicken kann. Der deutschen Medienkultur
und dem deutschen Medienrecht sollte es daher nicht schwer fallen, sich einer aus-
gewogenen gesamteuropäischen Rechtsentwicklung anzupassen. Dies bedeutet aller-
dings nicht, dass eine europäische Öffentlichkeit diese Rechtsentwicklung nicht kri-
 
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