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SITZUNGEN
Die Abschätzung künftiger Risiken ist schwer. Bei genauer Kenntnis der
Geschichte eines Vulkans kann man zwar den Charakter künftiger Eruptionen Vor-
hersagen, nicht aber den genauen Ablauf und die Heftigkeit der Eruptionen sowie
die Menge des eruptierten Materials. Somit bleibt unklar, ob Eruptionsprodukte in
Form pyro klastischer Ströme das Meer erreichen und Tsunamis verursachen kön-
nen. Andererseits ist die mechanische Stabilität von „Vulkangebäuden“ nur durch
genaue Struktur- und ingenieurgeologische Untersuchungen zu ermitteln. Der ein-
fache Blick aut die vulkanologische Karte genügt nicht. Diesbezüglich ist ein nega-
tives Beispiel anzuführen. Während der letzten 125 000 Jahre war der CumbreVieja-
Vulkan auf La Palma einer der aktivsten Vulkane der Kanarischen Inseln. An seiner
Westflanke hat sich eine Verwerfung herausgebildet, die seit 1949, dem Jahr des letz-
ten Vulkanausbruchs, oberflächlich sichtbar ist. Geodätische Messungen haben erge-
ben, dass seither keine Bewegungen mehr entlang dieser Verwerfung stattgefunden
haben. Der genaue Verlauf der Verwerfung im Untergrund ist nicht bekannt. Trotz-
dem nahmen im Jahr 2000 einige Wissenschaftler (nennen wir sie X und Y) an, dass
sich beim nächsten Ausbruch des CumbreVieja durch die damit verbundenen tek-
tonischen Bewegungen die gesamte Westflanke des Vulkans als 150 bis 500 km3
großer Block entlang dieser Verwerfung lösen und ins Meer abrutschen könne. Dies
hätte, wie numerische Modellierungen zeigen, einen Tsunami zur Folge, der sich
quer über den Atlantik ausbreiten und mit einer Höhe von ca. 5 bis 25 m auf die
Ostküste Nordamerikas treffen würde. Da sich X und Y noch vor der Veröffent-
lichung ihrer Ergebnisse in einer durchaus angesehenen Fachzeitschrift an die
Medien wandten, gab es große Beunruhigung unter der Bevölkerung der Ostküste
der Vereinigten Staaten. Obwohl andere Wissenschaftler schnell argumentierten, dass
X und Y von falschen Voraussetzungen und damit falschen Eingabeparametern für
die Modellrechnungen ausgegangen waren, beharrten X und Y noch monatelang auf
der Relevanz ihrer Studie und schürten damit noch die unseriöse Darstellung in den
Medien. Was lief hier falsch? Erstens bezweifeln jene Geowissenschaftler, die sich seit
Jahren mit dem CumbreVieja befassen, dass die Verwerfung an der Westflanke dieses
Vulkans eine so große Ausdehnung hat, wie von X und Y, die selbst nicht auf La
Palma gearbeitet haben, angenommen wurde. Zweitens hat das Studium vergange-
ner Bergstürze im Bereich der Kanarischen Inseln gezeigt, dass es wohl niemals zum
Abgleiten ganzer großer Blöcke kommt, sondern dass beim teilweisen Kollaps von
Vulkangebäuden das abrutschende Material „zergleitet“ und nicht auf einmal ms
Meer rutscht. Entstehende Tsunamis wären somit erheblich harmloser als der von X
und y modellierte.
Wie sollten wir also künftig mit dem Risiko vulkanisch induzierter Tsunamis
umgehen? Derzeit sind die Vorgänge beim Eintauchen vulkanischer Rutschmassen
ins Wasser, insbesondere die Wechselwirkungen zwischen Gesteinsmassen und Was-
ser, noch nicht gut verstanden. Um diesen Zustand zu verbessern und im Einzelfall
zu einer seriösen Risikoabschätzung zu kommen, ist die Zusammenarbeit von
Vulkanologen, Ingenieurgeologen, Geodäten, Geophysikern und Mathematikern
erforderlich.
SITZUNGEN
Die Abschätzung künftiger Risiken ist schwer. Bei genauer Kenntnis der
Geschichte eines Vulkans kann man zwar den Charakter künftiger Eruptionen Vor-
hersagen, nicht aber den genauen Ablauf und die Heftigkeit der Eruptionen sowie
die Menge des eruptierten Materials. Somit bleibt unklar, ob Eruptionsprodukte in
Form pyro klastischer Ströme das Meer erreichen und Tsunamis verursachen kön-
nen. Andererseits ist die mechanische Stabilität von „Vulkangebäuden“ nur durch
genaue Struktur- und ingenieurgeologische Untersuchungen zu ermitteln. Der ein-
fache Blick aut die vulkanologische Karte genügt nicht. Diesbezüglich ist ein nega-
tives Beispiel anzuführen. Während der letzten 125 000 Jahre war der CumbreVieja-
Vulkan auf La Palma einer der aktivsten Vulkane der Kanarischen Inseln. An seiner
Westflanke hat sich eine Verwerfung herausgebildet, die seit 1949, dem Jahr des letz-
ten Vulkanausbruchs, oberflächlich sichtbar ist. Geodätische Messungen haben erge-
ben, dass seither keine Bewegungen mehr entlang dieser Verwerfung stattgefunden
haben. Der genaue Verlauf der Verwerfung im Untergrund ist nicht bekannt. Trotz-
dem nahmen im Jahr 2000 einige Wissenschaftler (nennen wir sie X und Y) an, dass
sich beim nächsten Ausbruch des CumbreVieja durch die damit verbundenen tek-
tonischen Bewegungen die gesamte Westflanke des Vulkans als 150 bis 500 km3
großer Block entlang dieser Verwerfung lösen und ins Meer abrutschen könne. Dies
hätte, wie numerische Modellierungen zeigen, einen Tsunami zur Folge, der sich
quer über den Atlantik ausbreiten und mit einer Höhe von ca. 5 bis 25 m auf die
Ostküste Nordamerikas treffen würde. Da sich X und Y noch vor der Veröffent-
lichung ihrer Ergebnisse in einer durchaus angesehenen Fachzeitschrift an die
Medien wandten, gab es große Beunruhigung unter der Bevölkerung der Ostküste
der Vereinigten Staaten. Obwohl andere Wissenschaftler schnell argumentierten, dass
X und Y von falschen Voraussetzungen und damit falschen Eingabeparametern für
die Modellrechnungen ausgegangen waren, beharrten X und Y noch monatelang auf
der Relevanz ihrer Studie und schürten damit noch die unseriöse Darstellung in den
Medien. Was lief hier falsch? Erstens bezweifeln jene Geowissenschaftler, die sich seit
Jahren mit dem CumbreVieja befassen, dass die Verwerfung an der Westflanke dieses
Vulkans eine so große Ausdehnung hat, wie von X und Y, die selbst nicht auf La
Palma gearbeitet haben, angenommen wurde. Zweitens hat das Studium vergange-
ner Bergstürze im Bereich der Kanarischen Inseln gezeigt, dass es wohl niemals zum
Abgleiten ganzer großer Blöcke kommt, sondern dass beim teilweisen Kollaps von
Vulkangebäuden das abrutschende Material „zergleitet“ und nicht auf einmal ms
Meer rutscht. Entstehende Tsunamis wären somit erheblich harmloser als der von X
und y modellierte.
Wie sollten wir also künftig mit dem Risiko vulkanisch induzierter Tsunamis
umgehen? Derzeit sind die Vorgänge beim Eintauchen vulkanischer Rutschmassen
ins Wasser, insbesondere die Wechselwirkungen zwischen Gesteinsmassen und Was-
ser, noch nicht gut verstanden. Um diesen Zustand zu verbessern und im Einzelfall
zu einer seriösen Risikoabschätzung zu kommen, ist die Zusammenarbeit von
Vulkanologen, Ingenieurgeologen, Geodäten, Geophysikern und Mathematikern
erforderlich.